Heribert Prantl beleuchtet ein Thema, das Politik und Gesellschaft (nicht nur) in dieser Woche beschäftigt.
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29. Mai 2023
Prantls Blick
Die politische Wochenschau
Prof. Dr. Heribert Prantl
Kolumnist und Autor
SZ Mail
Guten Tag,
wäre dies hier das Skript für ein politisches Kabarett, dann würde ich jetzt fragen, ob die Generalstaatsanwaltschaft in München eine kriminelle Vereinigung ist, weil sie die „Letzte Generation“ auf ziemlich abenteuerliche Weise als kriminelle Vereinigung verfolgt. Für solche Kalauer aber ist die Sache zu ernst. Beide Seiten machen Fehler: Die Klimaschützer machen kleine Fehler, weil sie mit ihren Klebeaktionen da und dort die Grenze zur Strafbarkeit überschreiten. Und die Strafverfolger machen große Fehler, weil sie auf die Klebeaktionen völlig unverhältnismäßig reagieren. Sie treiben die Klimaschützer in eine Ecke, in die sie nicht gehören. Beides ist unklug, beides schadet der jeweiligen Sache, ist also dumm; aber Dummheit ist nicht kriminell.

Polit-populistische Aktionen im juristischen Gewand

Es ist gewiss so: Wer, wie die Klimaschützer, zivilen Widerstand leistet, darf das Strafrecht nicht fürchten; das lehrt die Erfahrung. Wer aber das Strafrecht nutzt, um die Widerständler pauschal zu kriminalisieren und sich populistisch zu profilieren, der hat den Wert der Demonstrationsfreiheit nicht verstanden; das lehrt das Verfassungsrecht. Darf ich Sie an dieser Stelle fragen, worüber Sie sich mehr aufregen: Über die nervigen Protestaktionen der Klimaschützer - oder über die Einschüchterungsaktionen der Münchner Generalstaatsanwaltschaft gegen die „Letzte Generation“? Die Münchner Strafverfolger beschuldigen diese Klimaschützer als „kriminelle Vereinigung“. Kriminelle Vereinigungen sind, so steht es im Strafgesetz, Vereinigungen „deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Straftaten zu begehen“. In ganz Deutschland haben die Strafverfolger mit diesem seltsamen Vorwurf Razzien veranstaltet, Webseiten gesperrt und Konten beschlagnahmt, sie haben einen sogenannten Vermögensarrest durchgeführt, also die Gelder eingefroren – gerade so, als handele es sich bei den Klimaschützern um geldwaschende russische Oligarchen, die auf der EU-Sanktionsliste stehen. War das rechtmäßig? War das eine polit-populistische Aktion im juristischen Gewand?

So ein Verdacht liegt sehr nahe: Es handelt sich um einen juristisch verbrämten Populismus. Unter anderem und besonders lautstark hatte die CSU nach strafrechtlichen Maßnahmen gerufen – und: voilà! Die Staatsanwaltschaften in Deutschland sind nicht unabhängig von den Regierungen, sondern weisungsgebunden, sie sind nicht Judikative, sie sind Exekutive.  Daran hat sich nichts geändert, obwohl der Europäische Gerichtshof die politische Weisungsgebundenheit der deutschen Staatsanwaltschaft schon vor Jahren massiv kritisierte. Es ist so: Sie verdankt ihr Leben „dem Bedürfnis der Regierung, sich jederzeit Einfluss auf die Strafrechtspflege zu sichern“.  So schrieb das die Juristenzeitung schon zur Weimarer Zeit. Das ist bis heute so geblieben. Die einschlägigen Fälle sind selten, aber dann brisant – so wie gegen die Klimaschützer. Davon handelt mein heutiger SZ-Plus-Text.
SZPlus Prantls Blick
Deutschland, eine Südseeinsel
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Ich fürchte, es ist so: Die Gegner der Klimaschützer radikalisieren sich selbst in einer Weise, wie sie es den Klimaschützern vorwerfen.

Ich wünsche Ihnen schöne Pfingstferien.

Ihr 
Heribert Prantl
Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung
SZ Mail
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Prantls Leseempfehlungen
Recht auf Asyl
Einmauern oder teilen
Vor dreißig Jahren wurde das Asylgrundrecht geändert; es wurde degradiert zum Grundrechtlein. Ich war gegen diese Änderung, ich bin es immer noch. Solche Gesetzesänderungen ändern nichts an den Fluchtgründen. Ich war und bin deshalb gegen diese erste Grundrechtsänderung in der Geschichte der Bundesrepublik, weil das alte, das kompromisslose Asylgrundrecht aus dem Jahr 1949 eine notwendige Mahnung war, nicht die Augen zu verschließen vor dem Leid der Welt. Das alte Asylgrundrecht war eine Mahnung zur Fluchtursachenbekämpfung. Es machte kompromisslos klar: Wir können uns einmauern oder unseren Reichtum teilen.

Das deutsche Grundgesetz, der ellenlange, vor dreißig Jahren als „Asylkompromiss“ formulierte neue Asylartikel 16 a war und ist der Plan zum Einmauern. Diesen Plan setzt die EU jetzt auf europäischer Ebene fort; demnächst soll es einen europäischen Asylkompromiss geben, der Asyllager an neu befestigten Außengrenzen vorsieht. Das Gegenkonzept entwickelt ein Buch mit dem schlichten Titel „Flucht. Ursachen bekämpfen, Flüchtlinge schützen“. Es ist ein Band, den der ehemalige Umweltminister Klaus Töpfer, die frühere BUND-Präsidentin Angelika Zahrnt und der evangelische Theologe und Bürgerrechtler Ralf-Uwe Beck herausgegeben haben: 23 Autoren und Autorenteams befassen sich in relativ kurzen, aber sehr fundierten Beiträgen damit, wie „Perspektiven vor Ort“ geschaffen werden können. In seinem optimistischen Einleitungsbeitrag schreibt Gerd Müller, der frühere Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, jetzt Generaldirektor der UN-Organisation für industrielle Entwicklung: „Unser Reichtum ist Verpflichtung. Wir können eine friedlichere, bessere und gerechtere Welt schaffen, in der Menschen Perspektiven und Zukunft in ihrer jeweiligen Heimatregion finden.“ Das ist richtig, dauert aber länger als der Bau eines Grenzlagers.

Ralf-Uwe Beck, Klaus Töpfer, Angelika Zahrnt (Hrsg.), Flucht. Ursachen bekämpfen, Flüchtlinge schützen. Erschienen Ende 2022 im Oekom-Verlag; es hat 160 Seiten und kostet 22 Euro.
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Wenn das Rechtsgefühl rebelliert
Wie kräftig ist die Rechtskraft eines Strafurteils? Der Bundestag hat, kurz vor dem Ende der Merkel-Koalition, ein Rechtskraft-Durchbrechungsgesetz verabschiedet. Dieses Gesetz hat dazu geführt, dass ein Freispruch bei Mord heute nur noch unter Vorbehalt gilt. Der Freigesprochene soll, wenn es neue Beweismittel gibt, von neuem vor Gericht gestellt werden können. Der Staat, das ist der Gehalt dieses neuen Gesetzes, soll immer und immer wieder auf einen einst schwer Beschuldigten zugreifen können, sobald Zweifel an der Richtigkeit seines Freispruchs aufkommen. Das neue Gesetz warf, im Namen des gesunden Volksempfindens, bisher eherne rechtsstaatliche Grundsätze über den Haufen.  Das Bundesverfassungsgericht hat in der vergangenen Woche darüber verhandelt, ob das sein darf – ob das nicht vom Grundgesetz verboten ist. Der Kollege Wolfgang Janisch, ein akribischer Jurist, berichtet in der SZ äußerst sachkundig über diese Verhandlung. Das Lesen lohnt sich sehr. In seinem gesonderten Kommentar nimmt Janisch selbst Stellung und legt dar, warum das neue Gesetz, das zu mehr Gerechtigkeit führen sollte, andere Ungerechtigkeiten schaffen wird.
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