| | | | | 24. Februar 2023 | | Deutscher Alltag | | | |
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| | | | | Buchläden gehören zur kritischen Infrastruktur; Antiquariate wiederum müssten mit dem Kulturgutschutzzeichen versehen werden (ach, was ist die deutsche Sprache wunderbar mit ihrer nahezu unbegrenzten Zusammenfügbarkeit einzelner Wörter). Sie wissen schon: ein blaues Dreieck spitz auf einem blauen Viereck stehend, das Ganze auf weiÃem Grund. So will es die Haager Konvention von 1954 für Kulturgut, das besonders zu schützen ist. Das Antiquariat ist im Zeitalter der bildschirmwischgesteuerten Aufmerksamkeit und der allmählichen Entbuchisierung erheblicher Teile der Gesellschaft zweifelsfrei ein bedrohtes Kulturgut. Jede Stadt, die etwas auf sich hält, müsste drei bis neun Antiquariate haben. Leider ist das nicht mehr so, weil die Inhaber solcher Läden sich oft die Stadtmieten nicht mehr leisten können. Ein Mobiltelefonladen oder eine Pizza-to-go-Bude nehmen gerne den Platz ein, an dem es zwei Generationen lang ältere Bücher zu kaufen gab. Wäre ich aktivistisch veranlagt, würde ich mich hin und wieder vor einer Bar in Schwabing festkleben, in deren Räumen Mojitos serviert werden, früher aber Walter Benjamin und Max Brod verkauft wurden. Ein Zwischending ist der Gebrauchtbuchversandhandel (wieder so ein Wort). Man kriegt dort Bücher von Leuten, die mal viele Bücher hatten, bevor sie starben, ins Heim zogen oder von ihren Kindern in eine kleine Wohnung vertrieben wurden. Antiquariate kaufen selbst kaum mehr an; der kommunale Bücherschrank vor dem Hallenbad nimmt zwar schweigend Bücher, gibt aber kein Geld dafür her. Der Gebrauchtbuchhandel gibt auch nicht viel Geld her, aber man hat das Gefühl, man würde die Bücher zumindest nicht wegwerfen (Kulturgut!). Im Gebrauchtbuchhandel gibt es sehr viel Suhrkamp, rororo das neue Buch, detebe und all das Zeug, das Boomer vor 40 oder 50 Jahren kauften. Damals wussten sie noch nicht, dass sie Boomer sind, obwohl sie unwissentlich schon damit begannen, das Leben der heutigen neoheroischen Empfindsamen negativ zu beeinflussen. Dabei war man doch gegen AKWs und las Ror Wolf oder Ernst Bloch. Seit geraumer Zeit schickt mein Computer immer wieder mal Geld an den Gebrauchtbuchhandel, weil ich mich nicht entscheiden kann, ob es besser ist, endlich Bücher loszuwerden oder neue, also gebrauchte dazuzukaufen (letztere Tätigkeit überwiegt noch). Abgesehen davon, dass ich mutmaÃlich zeit meines Lebens, und so mich nicht die Demenz heimsucht, ein Bücherhabenwoller bleiben werde, findet man ja in jedem Bücherpaket Kleinschätze oder Trouvaillen (schönes Wort, gerne von Ernst Jünger benutzt). Eine solche Trouvaille ist das Literaturmagazin, das mir in ein paar Ausgaben jüngst aus dem Gebrauchtbuchhandel zulief. 1973 erschien bei Rowohlt erstmals das âLiteraturmagazinâ in Taschenbuchform. Das Cover: nüchterne schwarze Buchstaben auf weiÃem Hintergrund, umgeben von einem signalroten Rand, der wohl bedeutete, dass das was Neues, Modernes, Umstürzendes sein sollte. ÃuÃerlich erinnert es etwas an den Münchner Designer Mirko Borsche, der allerdings beim Erscheinen des Literaturmagazins noch nicht mal zwei Jahre alt war, sodass er es kaum hätte beeinflussen können. Andererseits hat es fast alle guten Ideen schon mal gegeben, sodass es oft nur darauf ankommt, den Eindruck zu erwecken, etwas sei neu, obwohl es eigentlich nur zu der gerade neuen Zeit passt, deren Eigenart es ja ist, selbst wieder schnell alt zu werden. Die besten Designer also kennen sich in dem, was schon war, so gut aus, dass sie das, was demnächst sein soll, ästhetisch geschickt mit der Vergangenheit verheiraten und daraus Zukunft machen. Im ersten Band des rororo-Literaturmagazins jedenfalls ging es um âdie neue Literatur â gegen den spätbürgerlichen Literaturbetriebâ. Hans Christoph Buch, damals 32, heute 78, gab das revolutionär wirken sollende Magazin heraus; es schrieben unter anderen Rolf Hochhuth, damals 42, heute tot, oder Ingeborg Drewitz, damals 50, heute noch länger tot. Hochhuth, immer ein groÃer Nörgler, fertigte den damals bedeutenden Berliner Kritiker Friedrich Luft in einer so polemischen Weise ab, dass man denken könnte, Hochhuth sei so etwas wie der Gründungsheilige des Twitterschimpfens. Ich las die gegen den damaligen Literaturbetrieb wetternden Aufsätze und dachte mir, wie versunken dieser âBetriebâ und sein Personal heute, fünfzig Jahre später, sind. Es ist seltsam und lehrreich zugleich, wenn man alte Revolutionäre (m/w/d) liest und weiÃ, dass sich jenes, wogegen revoltiert wurde, aufgelöst hat wie eine Badekugel in heiÃem Wasser. Natürlich findet man auch heute jede Menge zornige Schriftsteller und Autorinnen, die gegen Verlage, Kritiker und sonstige Höllengeburten anschreiben. Viele Autoren sehen die Schuld am Bösen in der Welt oder auch nur am Misserfolg ihrer Bücher in einem sie quälenden âBetriebâ â sei es der der Literatur oder des Menschseins, insgesamt oder individuell. Der Literaturbetrieb heute ist ein ganz anderer als der 1973 oder der 1992. Und dennoch: Vergangener Zorn, konserviert in mittelalten Büchern, gekauft im Versandbuchhandel, lässt sich dienstagabends auf der Couch gut lesen. Er hilft auch bei der Einordnung aktuellen Zorns. Oder man findet im Literaturmagazin von 1973 ein Gedicht von Peter-Paul Zahl, damals 39, seit 2011 tot, in dem es heiÃt: âIm Feuilleton / liberaler Zeitungen / liegt die Revolution / längst hinter unsâ. War nie da, denke ich mir, jedenfalls nicht fest angestellt.
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| | | | | | | | | | In der Schatzkammer der Universität | | Tief unter der Ludwig-Maximilians-Universität lagern in München einzigartige Werke aus den vergangenen Jahrhunderten. Manche sind Millionen Euro wert, aber eigentlich sind sie unbezahlbar. | | | |
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