| | | | | 8. März 2024 | | Deutscher Alltag | | | |
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| | | | | neulich war ich mit einem Freund beim Essen, und wir redeten über das Leben als solches, also über Menschen, die gestorben sind, über Rechtsradikale, über teuren Fisch beim Italiener, über die Mieten in München, über bornierte alte Reiche und über jüngere rüpelhafte Google-Gebildete. Wahrscheinlich ist so ein Gespräch nicht repräsentativ für irgendwas. Dennoch fällt mir auf, dass man häufiger darüber redet, was andere falsch machen, was sooo blöd ist oder was man sooo unterirdisch findet, als dass man â wo bleibt das Positive, Herr Kästner? â sich über irgendwie nette Dinge austauscht. Vielleicht ist es falsch, wenn ich hier âmanâ schreibe, weil ich möglicherweise der Griesgram bin, der oft über das Unpositive spricht. Andererseits, das ist jetzt ein sehr subjektives Argument, hat meine Griesgrämigkeit stark abgenommen, seitdem ich beruflich keine Dinge mehr machen muss, die wenig mit den Gründen zu tun hatten, deretwegen ich mal meinen Beruf ergriffen hatte. Und auÃerdem lehrt die Lebenserfahrung, dass selbst fröhliche Altruistinnen gerne über andere und die Welt als solche herziehen. Auch gute Literatur widmet sich seltener den angenehmen Menschen, der glücklichen Liebe oder der schwierigen, aber letztlich erfolgreichen Gemeinschaftsanstrengung. Nein, es geht um das Leben als Desaster (Thomas Bernhard), um Liebe am Abgrund (Marguerite Duras), um historische Verbrechen und ihre Auswirkungen auf das Individuum (Abdulrazak Gurnah) oder um die Verlorenheit des manipulierten Menschen (Franz Kafka). Viele Leute sind, zumindest in den Milieus, in denen man diese Kolumne liest, mäÃig selbstzufriedene Skeptiker und Innen. Das Skeptische bezieht sich auf die Umwelt, heute gerne das Umfeld genannt, was mehr als nur eine modernistische Lautverschiebung von âwâ zu âfâ bedeutet. Das ganz enge Umfeld besteht aus ein paar Freunden und Freundinnen, wenn es gut geht, auch aus Teilen der Familie, von denen man glaubt, sie merkten, wie man selbst, was im weiteren Umfeld, also der Umwelt passiert: Leute sterben, Rechtsradikale werden mehr ... (s. oben). Das Selbstzufriedene wurzelt in der gefühlten Erkenntnis, dass man zwar manches nicht mehr versteht, das Wichtigste aber dennoch aus der Warte einer vernunft- und emotionsbegabten, lebenden Drohne betrachten kann. (Mit Drohne ist hier nicht die männliche Biene gemeint, sondern eines jener Ifos, also identifizierten Flugobjekte, mit denen man alles von oben sieht.) Je älter man (sic!) wird, desto höher wird oben. Die Gelassenheit der Drohne ist eine Lebenseinstellung, die Interesse an anderen, gar Engagement für andere nicht ausschlieÃt. Was sie nicht zulässt, sind radikale Einstellungen. Das ist positiv. Weniger positiv mag man werten, dass Gelassenheit und Leidenschaft nur sehr bedingt zusammenpassen. Das eine ist eine Geisteshaltung, die beruhigt. Das andere wühlt auf, beflügelt und lässt manchmal auch nicht viel Platz für Toleranz. Bestimmte Arten von Leidenschaft sollen, so hört man, auch für Drohnen noch möglich sein, wenn auch am besten im Kopf als Erinnerung an Erlebtes und Imaginiertes aus der Vor-Drohnen-Zeit. Die gröÃten Abenteuer sind im Kopf, und sind sie nicht im Kopf, dann sind sie nirgendwo, lautet ein von mir immer wieder gern zitierter Satz von André Heller. Nun ist die Drohnen-Gelassenheit keineswegs immer positiv, selbst wenn man nicht um den weitgehenden Verlust der Leidenschaft trauert. Der Prototyp des Drohnen-Gelassenen ist unter den toten Prominenten Karl Lagerfeld, der auÃerdem auch noch der Weltvorsitzende einer Unterabteilung der Gelassenen, nämlich der narzisstischen Gelassenen, war. Unter den lebenden prominenten Gelassenen wäre Olaf Scholz zu nennen. Er hat mit 65 nun auch ein Alter erreicht, das der Gelassenheit grundsätzlich Vorschub leistet. Allerdings sagen Scholz-Kenner, dass er in mancherlei Sinne auch schon mit 45 Jahren 65 war. Es scheint so zu sein, als schlössen sich Leidenschaft und Kanzlertum aus. Die Republik hatte noch nie einen wirklich gelassenen Kanzler, auch wenn die Kanzlerin Angela Merkel mit zunehmendem Dienstalter sich immer gelassener zeigte. Allerdings verbirgt äuÃerliche Gelassenheit auch immer wieder innerliches Gebrodel (vgl. auch Brandt, Willy). Und demonstrierte Gelassenheit kann der Versuch sein, Fragen, auf die man keine Antworten hat, durch Wenigbeachtung oder Ignorieren verschwinden zu lassen. Das funktioniert selten, Helmut Kohls letzte zwei Amtszeiten haben das bewiesen. Gelassenheit und Ratlosigkeit können zu Stiefschwestern werden. Bei der gegenwärtigen Regierung hat man den Eindruck, dass es zu viel von alledem gibt, von demonstrierter Gelassenheit, von offenbarer Ratlosigkeit, aber auch von gegeneinander gerichteter Leidenschaft. Um nicht wieder nur des Ampelbashings geziehen zu werden: Der mutmaÃliche Kanzlerkandidat Friedrich Merz simuliert dann Leidenschaft, wenn er gelassen sein sollte, was daran erinnert, dass Merz noch zwanzig Jahre früher als Scholz 65 war, also ungefähr 1983. Tja, die letzten zwei Absätze dieses Texts hätten auch dem oben zitierten Gespräch mit meinem Freund entstammen können. Da macht man sich auf, um das Geheimnis des heiteren Abendessennegativismus wenn nicht zu ergründen, so doch zu beschreiben. Und man endet damit, dass man Lagerfeld, Scholz und Merz aus der Perspektive einer zu selbstsicheren Drohne analysiert. | |
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