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| | | | | | | das Jahresende nähert sich in Siebenmeilenstiefeln (keine Sorge, die Sprachbilder aus den Märchen überlasse ich auch in Zukunft dem Kollegen Prantl, Heribert). In vier Wochen ist berührungsfreies Weihnachten, und kurz darauf werden zu Silvester keine Raketen abgeschossen. In der bayerischen Staatskanzlei, so wird gemunkelt, kursiert ein München-Schwerin-Papier, in dem die informelle Schwesig-Söder-Liga den Vorschlag macht, alle Feiertage sowie das Garmischer Hornschlittenrennen nach Grönland zu verlegen, wo es in der zweiten Novemberwoche nur einen einzigen Corona-Fall gab. So etwas könne man doch nicht machen, weil man es nicht vernünftig begründen könne, sagen Sie? Da kann ich nur mit meinem alten Freund Alois antworten, der, wenn wir nicht wussten, wie wir das Benzin für die Mofas bezahlen sollten, gerne fragte: Wen juckt das schon, bezahlen? Wen juckt das schon, jeden Vorschlag vernünftig begründen? Sie merken, ich nörgele wieder mal vor mich hin. Es geht mir ein wenig so wie dem Rilkeâschen Panther, mein Blick ist müde geworden vom Vorübergehen der Stäbe, die mich davon abhalten sollen, Menschen aus mehr als einem anderen Haushalt zu treffen. Früher, als ich das noch durfte, wollte ich nie bewusst Menschen aus mehreren Haushalten treffen. Wenn man beim Italiener saà und Involtini aÃ, hat man sich nie Gedanken darüber gemacht, wie viele Vertreter von wie vielen Haushalten gerade da waren. Ãberhaupt war âHaushaltâ in Vorseuchenzeiten eigentlich nur ein Synonym für Etat (âder Verteidigungshaushalt ist zu hochâ); auf die Idee, die eigene Familie als Mitglieder, Insassen oder Angehörige eines Haushalts zu verstehen, kam nur, wer beruflich mit Besteuerung zu tun hatte oder ein Zeuge Jehovas war (âdiese Haushalte haben wir schon besuchtâ). Apropos Zeugen Jehovas: Wenn Sie in der andauernden Kontaktbeschränkung noch ein Buch suchen, das Sie immer schon mal gelesen haben wollten oder sollten, besorgen Sie sich Haruki Murakamis â1Q84â, sprich Eins Q Vierundachtzig. Da kommen nicht nur Zeugen Jehovas vor, sondern Sie erfahren auch, was es bedeutet, wenn zwei Monde am Himmel stehen, und warum man als brutaler Macho manche Dinge in den Handtaschen von Physiotherapeutinnen nicht genug fürchten kann. Murakamis Buch ist zwar schon zehn Jahre alt, aber besser als vieles, was seitdem Buchpreise gewonnen hat, auch in Deutschland. Ãberhaupt sollte Murakami endlich den Nobelpreis bekommen. In Rilkes Panthergedicht heiÃt es auch, manchmal âschiebt der Vorhang der Pupille sich lautlos auf â dann geht ein Bild hineinâ. So ist es auch bei mir in der Corona-Zeit, in der ich mehr bügle als sonst. Das kann eigentlich nicht sein, weil man ja nicht mehr anzieht und infolgedessen auch nicht mehr wäscht, sodass man auch nicht mehr bügeln muss. Und dennoch ist meine Wahrnehmung so, dass ich öfter und länger am Bügelbrett stehe als früher. Was das mit dem Panther und den Pupillen zu tun hat? Ganz einfach: Wenn ich bügle, schaue ich als optisch-akustische Bügeluntermalung Fernsehen oder Mediathek oder DVD oder sonst was Neumodisches. âDurch meiner Glieder angespannte Stilleâ (Rilke) geht also ein Bild hinein, oder richtig: gehen viele Bilder hinein. Beim panthergleichen Bügeln fällt mir auf, dass gerade die ARD viel Erziehungsfernsehen in der Mediathek aufbewahrt (Klimadokus, Geschichtsdokus, Ungerechtigkeitendokus), aber auch enorm viele âTatorteâ. Es gibt mittlerweile mehr als 1000 âTatorteâ, also viel mehr, als es jemals zusammengezählt Intendanten und (neuerdings auch) Intendantinnen in der ARD gegeben hat. Und es scheint so zu sein, dass die meisten âTatorteâ der letzten dreiÃig Jahre dramatisierte Erziehungsdokus sind, weil praktisch immer der reiche Geschäftsführer, der mafiöse Pharmafabrikant, der Rechtsradikale oder der Assistent des Kardinals die Mörder sind. Und wenn sie nicht die Mörder sind, haben sie unschuldig Schuldige angestiftet. An diesem Sonntag feiert die ARD den 50. Geburtstag des âTatortsâ. Mit dabei sind auch die Münchner Kommissare Batic und Leitmayr, die mal jüngere Männer waren, jetzt aber, wie viele ihrer Zuschauer, irgendwo zwischen 60 und 70 schweben. Das siebte Lebensjahrzehnt ist ein Zustand, und hätte dieser Zustand denn einen Ort, wäre der manchmal mit dem alten Jardin des Plantes in Paris zu vergleichen, wo dem Panther war, als ob es tausend Stäbe gäbe, und hinter tausend Stäben keine Welt. Wären Batic und Leitmayr wirklich bei der Polizei, wären sie entweder schon pensioniert (Batic) oder würden im Innenministerium das aktuelle Projekt kontaktlose Kontaktbereichsbeamte leiten (Leitmayr). Es kommt im wirklichen Leben praktisch nie vor, dass man, wie Batic und Leitmayr, 29 Jahre lang mit jemandem eng zusammenarbeitet, der (oder die) einem im Prinzip sehr sympathisch und auch noch professionell kompetent ist. Aber im Fernsehen kommt ja vieles vor, was es im Leben nicht gibt. Auch deswegen ist es besser, beim Bügeln fernzusehen als über das Leben nachzudenken. Die âTatortâ-Gemeinde hat durchaus Züge einer Sekte oder sogar, rein quantitativ gesehen, einer Kirche. Man schätzt, dass es in Deutschland etwa 170 000 Zeugen Jehovas und rund 40 000 Mormonen gibt. Katholiken sind es â das schwankt mit den Kirchenaustritten â zwischen 22 und 23 Millionen. Den âTatortâ sehen sonntags im Schnitt acht Millionen Leute â von wegen Tod des linearen Fernsehens. Acht Millionen, die regelmäÃig sonntags zur selben Zeit dasselbe tun, erinnern viel eher an die katholische oder evangelische Kirche als an eine Sekte, haben aber den Vorteil, dass sie zugleich Katholiken und âTatortâ-Gläubige sein können. Ãbrigens kriegt einer dieser schrecklichen Boerne-Thiel-âTatorteâ, die mich immer irgendwie an Thomas Middelhoff und Karl Lauterbach erinnern, mit zwölf Millionen Zuschauern gut doppelt so viele Menschen an die Bildschirme, wie es Muslime in Deutschland gibt (rund fünf Millionen). Natürlich ist es in keiner Weise ehrabträglich, wenn man Münster-âTatorteâ mag. Müsste ich allerdings zwangsweise zur Münster-Konfession der âTatortâ-Religion konvertieren, würde ich vermutlich zunächst mal sehen, ob ich mich nicht eher mit dem Koran anfreunden könnte. Sehr interessant fand ich auch immer die Religion der Mormonen, weil die erstens einen Propheten namens Joseph Smith (das ist volksnah) haben und zweitens daran glauben, dass Jesus nach der Auferstehung auch in Amerika war. Wenn Sie also am Sonntagabend den Jubiläums-âTatortâ anschauen, möge er sie unterhalten, gar erfreuen. Er dreht sich um den kalabrischen Teil der Mafia, spielt in Dortmund und München und hat zwei Teile, sodass er auch noch bis zum 6. Dezember reicht. Der 6. Dezember ist der zweite Advent, und dann sind es nur noch zwei Wochen bis zum berührungslosen Weihnachten. Danach kommt das stille Silvester und mit ihm das neue Jahr und der Impfstoff. Dann werden die vielen, die es wollen und nicht zur Anti-Impf-Kirche gehören, geimpft werden. Und ich muss endlich nicht mehr so viel bügeln, oder wenigstens muss ich nicht mehr das Gefühl haben, mehr zu bügeln als vor der Seuche. Eigentlich gute Aussichten nach diesem Sonntag. Kurt Kister
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| | | | | | | | | Wo seid ihr? | | Wenn ein Virus mal eben die Welt umkegelt, müsste das doch die Stunde der Kirche sein. Da hört man aber gerade wenig. Damit hadern sie auch bei den Barmherzigen Brüdern. | | |
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