Liebe/r Leser/in,

seit 14 Uhr tagt heute wieder einmal die Runde der Bundeskanzlerin mit den Länderchefs. Diesmal nur per Video und begrenzt auf zwei Stunden. Große Änderungen des derzeitigen „Lockdown light“ werden zunächst nicht erwartet, Lockerungen in keinem Fall, eher Beschränkungen. Nach der vorliegenden Beschlussvorlage aus dem Bundeskanzleramt sollen die Bundesländer verpflichtet werden, bis Mitte Dezember Impfzentren einzurichten, zudem werden u.a. weitere Kontaktreduzierungen diskutiert, z.B. die Halbierung von Schulklassen, inkl. Maskenpflicht im Unterricht. Doch CDU und Länderchefs erteilen den Schul-Plänen der Kanzlerin eine Absage. Nach einer geänderten Vorlage des Bundes sollen die Länder bis zur kommenden Woche nun einen Vorschlag vorlegen, wie Ansteckungsrisiken im Schulbereich weiter reduziert werden können. Es wird weiter gestritten, weiter gezittert, weiter gehofft.
Corona fesselt unsere Freiheit, Corona fesselt unsere Gedanken. Unsere Köpfe sind vollgestopft von den Diskussionen über R-Werte, Intensivbetten-Kapazitäten und Kontaktbeschränkungen – ungeheuer wichtige Themen, doch rechts und links dreht sich die Welt weiter. Das konnte man am Wochenende gut beobachten, als in den Hauptnachrichten plötzlich von einem neuen Wirtschaftsraum die Rede war, von dem wohl viele Europäer zum ersten Mal hörten: 15 Staaten des Asien-Pazifik-Raums, allen voran China, haben sich zu einem Binnenmarkt zusammengeschlossen. Der umfasst etwa 30 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung, 2,2 Milliarden Menschen werden künftig von wegfallenden Zöllen und erleichtertem Dienstleistungsverkehr profitieren. Zum Vergleich: Vom europäischen Binnenmarkt profitieren gerade einmal 340 Millionen Bürger.
Die Welt nach Corona wird eine andere sein.
Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die Woche!

Sehr herzlich grüßt

Robert Schneider,
Chefredakteur FOCUS-Magazin

Drei Thesen um drei

Schwarz-Grün hätte seinen Segen

Die nächste Bundesregierung könnte die erste schwarz-grüne Koalition auf Bundesebene werden, danach sieht es derzeit zumindest in den meisten Umfragen aus. Was bedeutet diese Perspektive für die Grünen? Wie haben sie sich in der ersten Regierungsbeteiligung unter Kanzler Schröder geschlagen, was haben sie daraus für die Zukunft gelernt?
In FOCUS spricht Ex-Vizekanzler und -Außenminister Joschka Fischer über Chancen und Risiken der neuen grünen Macht, die Grenzen des Kapitalismus und eine Jugendbewegung, die ihm Mut macht.

Mehr E-Autos, bitte!

Nie haben sich mehr Deutsche ein E-Auto angeschafft als jetzt. Dennoch sind es immer noch viel zu wenige. Es stimmt, nicht mehr nur nach einem Parkplatz zu suchen, sondern auch nach einer passenden Ladestation, daran muss man sich erst einmal gewöhnen.
Elektrisch zu fahren bedeutet ein Umdenken. Wer bei der E-Mobility aber jetzt noch über eine begrenzte Reichweite diskutiert, hat die Sache mit der Mobilitätswende noch nicht richtig verstanden. Denn bei Reichweiten, die inzwischen selbst bei Kleinwagen über 300 Kilometer betragen, spielt das Argument keine Rolle mehr. Diskutieren wir lieber darüber, wie umweltfreundlich die Autos sind und ob etwa ein E-SUV dafür Widerspruch oder Chance ist.
Lesen Sie den großen Ratgeber mit 40 Modellen im aktuellen FOCUS.

Die Gesinnungsprosa ist zurück

Ziemlich genau zwei Jahre ist es jetzt her, dass der „Spiegel“-Reporter Claas Relotius aufflog. Wie sich herausstellte, waren seine Texte zum Großteil Kopfgeburten, also Erfindungen am Schreibtisch. Relotius war auch deshalb mit seinen Fabrikationen trotz aller Warnhinweise durchgekommen, weil seine Geschichten sich so lasen, wie man in den Redaktionen und Preisjurys gerne über die Wirklichkeit lesen wollte. Seine Reportagen entsprachen zu 100 Prozent den Vorstellungen und Vorurteilen seiner Förderer.
Es wurden 1000 Eide geschworen, dass man aus dem Fall Relotius lernen werde – im „Spiegel“, der eine Aufklärungskommission einsetzte, und auch in den Jurys, die Relotius mit Preisen überhäuft hatten. Für Letztere kann man heute sagen: Es hat sich nichts geändert. Dieses Jahr sind beim Deutschen Reporterpreis in der Kategorie Essay unter anderem nominiert: eine Geschichte über die Spätfolgen von Atomwaffentests; eine Geschichte über den alltäglichen Rassismus und den Rassisten in uns; ein Artikel, wie Joachim Gauck als Bundespräsident rechtes Denken hoffähig machte; ein Text über die Verschwörungswelt von Corona-Leugnern; eine Geschichte über die Benachteiligung alleinerziehender Mütter. Natürlich darf auch der Klimawandel nicht fehlen und warum die Angst vor einer Öko-Diktatur gefährlicher Unsinn ist.
Was die Preisvergabe angeht, sind wir also zurück in einer Zeit, als ob es Relotius nie gegeben hätte. Was wiederum einiges über die Wirklichkeitskonstruktion in deutschen Redaktionen verrät. Reportage als Bestätigung der Vorurteilsstruktur: Das ist noch immer der sicherste Weg ins Herz einer Journalisten-Jury.