Liebe/r Leser/in, ich weiß, Nachrufe auf Thomas Kenneth Mattingly haben Sie schon gelesen. Aber das ist nicht schlimm. Vielleicht ist es sogar gut. Ein Menschenleben ist viele Nachrufe wert. Je mehr Nachrufe, desto größer die Zahl derer, die sich an den Verstorbenen erinnern. Das Wundersame ist, dass die meisten Leser eines Nachrufs den dort beschriebenen Menschen gar nicht kannten. Sie erfahren erst über den Nachruf von seinem Dasein. Es mögen lediglich Bruchstücke sein: einige Anekdoten, Jahreszahlen, Orte, die Namen der Kinder vielleicht. Wenige Zeilen reichen, um uns spüren zu lassen, dass der Verstorbene, von dem wir gerade lesen, anderen etwas bedeutete. Wir ahnen den Verlust. Und weil wir den Verlust ahnen, haben wir Anteil an der Trauer. So kann es passieren, dass wir uns an jemand erinnern, den wir gar nicht kannten. Ich kannte Mattingly nicht. Aber ich erinnere mich an ihn. So wie Millionen andere sich an den einstigen Astronauten, der jetzt im Alter von 87 Jahren verstorben ist, erinnern. Ken, wie sie ihn bei der NASA nannten, war jener Mondfahrer, der mit Apollo 13 nicht starten durfte, weil die Gefahr bestand, dass er sich mit Röteln angesteckt hatte. Kens persönliches Desaster wurde zum Glücksfall für seine Crew. Deren Raumschiff nämlich war nach der Explosion eines Sauerstofftanks schwer beschädigt. Statt um eine Landung auf dem Mond ging es nur noch darum, die drei Astronauten der im Weltall havarierten Apollo 13 zurück zur Erde zu bringen. Ken Mattingly kam dabei eine entscheidende Aufgabe zu. In der NASA-Zentrale in Houston arbeitete er mit an jenem Notfallplan, der die Männer der Apollo 13 retten sollte. Das Drama, das als „erfolgreicher Fehlschlag“ in die Geschichte der Raumfahrt eingehen sollte, hielt die Welt im April 1970 in Atem. Und noch einmal fünfundzwanzig Jahre später, als Hollywood den denkwürdigen Flug der „Apollo 13“ verfilmte. Tom Hanks übernahm die Rolle von Jim Lovell, dem Kommandanten der Mission. Der Schauspieler Gary Sinise suchte als Ken in einer Raumkapsel am Boden unermüdlich nach einer Möglichkeit, wie das baugleiche Schiff im All genug Saft in der Batterie behalten könnte, um die Landung einzuleiten. Er fand einen Weg. Und so rettete er die Crew der Apollo 13. Im Kosmos von Hollywood. Und in der realen Welt. In der gespielten Wirklichkeit sendete Hanks alias Lovell den Funkspruch: „Houston, wir haben ein Problem.“ In der wirklichen Wirklichkeit hatte Lovell nach der Explosion des Tanks gefunkt: „Houston, wir hatten ein Problem.“ In der Kino-Version verwandelte sich der Satz zum geflügelten Wort. Wenn etwas richtig schiefläuft, wenn so ziemlich jeder Strick gerissen ist und uns das Wasser bis zu den Nasenlöchern steht – dann kann es sein, dass uns dieser Satz in den Sinn und über die Lippen kommt. Houston, wir haben ein Problem. Wer das sagt, darf eigentlich nicht mehr hoffen, dass die Sache noch gut gehen könnte. Aber er hofft dennoch. Er hofft auf eine gemeinsame Anstrengung. Auf einen Notfallplan. Und er hofft darauf, dass er nicht verloren gegeben wird. Dass sich jemand für ihn einsetzt. Sich um Hilfe bemüht. So lange rumprobiert und bastelt, bis er einen Weg gefunden hat. Damit genug Saft in der Batterie bleibt. Damit das Wunder geschieht. Thomas Kenneth Mattingly machte im April 1970 für Apollo 13 dieses Wunder möglich. Er sollte später noch mehrfach ins All fliegen. So umrundete er 1972 an Bord der Apollo 16 den Mond. Auch war er in den 80er Jahren bei mehreren Missionen des Spaceshuttles dabei. Der Flug seines Lebens aber war der, bei dem er nicht dabei war. Es sei für ihn „sehr schmerzhaft“ gewesen, so erzählte Mattingly Jahrzehnter später, dass er die Mission der Apollo 13 nicht begleiten konnte. Oft habe er sich gefragt, was wohl geschehen wäre, wenn er mit an Bord gewesen wäre. „Ich wäre gern dabei gewesen. Egal, was passiert wäre.“ Er erkrankte im Übrigen nie an den Röteln. Das sollte kein Nachruf auf Ken Mattingly unerwähnt lassen. Auf jenen Mann, der am Boden blieb. Und dort half, die Crew heimzuholen. |