Der Devisenmarkt als Seismograph
Der Devisenmarkt als Seismograph von Sven WeisenhausZur Börse-Intern mit dem Titel „DAX erholt sich deutlich schneller als die Wirtschaft“ vom vergangenen Dienstag hat mich folgende Leser-Mail erreicht: „Konjunkturprogramme - schön und gut - aber alles was geschieht, sind am Leben gehaltene Zombies - anstatt dass die Realwirtschaft profitiert, geht das Geld in eine Börsenblase, und das auf Pump“. Ich habe dem Leser einerseits bei dieser plakativen und allgemein gehaltenen Aussage widersprochen. Allerdings gibt es bei genauerer Betrachtung auch Entwicklungen, die tatsächlich ungesund sind. In der Corona-Krise sind Überbrückungskredite sinnvoll Was das Thema „am Leben gehaltene Zombies“ angeht, so hätte ich in einer anders gearteten Krise wohl weitestgehend zugestimmt. Wobei es natürlich nie nur schwarz und weiß gibt. Doch insbesondere die aktuelle Coronavirus-Krise haben die Unternehmen nicht selbst verschuldet. Stattdessen haben die Maßnahmen der Regierungen im Kampf gegen das Coronavirus den Firmen die größten Probleme bereitet. Unzählige eigentlich profitable Geschäftsmodelle haben durch den Lock Down nicht mehr funktioniert, obwohl der Bedarf nach Produkten und Dienstleistungen vorhanden war, er aber nicht ausgelebt werden konnte. In diesen Fällen kann man eindeutig nicht von Zombie-Firmen sprechen. Die Krise hat allerdings aufgedeckt, dass einerseits viele Dinge verzichtbar sind (Konsumartikel). Und sie führt zu einem nachhaltig veränderten Verbraucherverhalten – zumindest auf absehbare Zeit. Diese Neuorientierung werden einige Unternehmen nicht überleben. Andererseits sind viele Prozesse veraltet und problembehaftet. Auch hier wird es Änderungen geben müssen. Doch diese sind eher positiv zu werten. Denn die Digitalisierung wird vorangetrieben, Kosten gesenkt. Davon dürften viele Unternehmen profitieren. Und daher macht es insgesamt Sinn, die Krisenzeit mit Krediten zu überbrücken. Am Ende werden einige Unternehmen auf der Strecke bleiben, andere jedoch gestärkt und optimiert aus der Krise hervorgehen. So war es bisher immer. Aktien werden auf Pump gekauft Nun zu den „ungesunden“ Entwicklungen: Ein Teil des von den Notenbanken zur Verfügung gestellten Geldes fließt tatsächlich nicht in die Realwirtschaft, sondern an die Börsen, so dass Blasen entstehen. Die angeheizte Kreditvergabe führt sogar dazu, dass auch vermehrt mit geliehenem Geld an den Aktienmärkten spekuliert wird. Allein in den USA summierten sich derartige Kredite im April auf 525 Milliarden Dollar, nach 479 Milliarden Dollar im März. Dies ist auch ein Grund dafür, dass der Crash Ende Februar/Anfang März so heftig ausfiel. Schon in der Börse-Intern vom 1. April war zu lesen: „Beispielsweise werden insbesondere in den USA Wertpapiere vielfach auf Kredit gekauft. Durch den rasanten Kursverfall am Aktienmarkt mussten diese Spekulationen beendet werden.“ Und mit Blick auf die Zahlen von März und insbesondere April erklärt sich auch, warum die Kurserholung ebenfalls sehr dynamisch und weit lief. Das Problem ist offensichtlich: Durch die extrem expansive Geldpolitik der Notenbanken wird die Spekulation an den Börsen angeheizt. Die Kursbewegungen fallen somit nicht nur nach oben (Blase), sondern auch nach unten deutlich stärker aus, auch weil Wertpapiere auf Kredit gekauft werden und dies zu einem Multiplikator-Effekt führt. Der Devisenmarkt als Seismograph Mir macht diese Geldpolitik Sorgen. Zumal es natürlich nicht ewig gutgehen kann, dass die Wirtschaft nur noch mit noch höherer Verschuldung wächst. Allerdings kann es noch Jahre dauern, bis diese Entwicklung ein wie auch immer geartetes Ende findet. Immerhin wird dieses bereits seit Anfang der 90er erwartet. Ein wichtiger Hinweis für das Ende der Exzesse wäre, wenn die Anleger das Vertrauen in die Regierungen, die Notenbanken und das System verlieren. Am ehesten kann man einen solchen Vertrauensverlust an den Wechselkursen ablesen. Diese fungieren quasi als eine Art Seismograph und zeigen Probleme oder auch nur Veränderungen in einem Wirtschaftsraum an. Aktuelle (Negativ-)Beispiele dafür sind Argentinien und die Türkei, deren Währungen deutlich abgewertet haben. Aber auch beim Euro und US-Dollar hat man jüngst deutliche Bewegungen gesehen. So scheinen die Anleger den Maßnahmen in der Eurozone derzeit deutlich mehr Vertrauen zu schenken als den eher laschen Einschränkungen in den USA, die zu der weltweit höchsten Anzahl an Coronavirus-Infizierten, -Toten und einer rekordhohen Arbeitslosigkeit geführt haben. Der Euro konnte zum US-Dollar deutlich zulegen (siehe grüne Ellipse im folgenden Chart). Die Kursentwicklung erinnert sehr stark an das Kursgeschehen, welches wir bereits während des Corona-Crashs erlebt haben (gelbe Ellipse). Sowohl an den Aktienmärkten als auch im EUR/USD sehen wir aktuell wieder eine Dynamik, die höchst ungewöhnlich ist. Mit anderen Worten: Die Kurse scheinen außer Kontrolle. Wettrennen der Notenbankbilanzen Schuld für diese Verwerfungen sind die Notenbanken und Regierungen, die mit Geld um sich werfen. Die US-Notenbank hat zum Beispiel in der aktuellen Krise ihre Bilanz doppelt so stark ausgeweitet wie in der Finanzkrise 2008/2009. In der Finanzkrise wuchs die Bilanz von rund 1 Billion auf 2,25 Billionen Dollar binnen nur zwei Monaten. Aktuell ist die Bilanz von 4,15 Billionen auf über 7,1 Billionen Dollar explodiert. Dies entspricht mehr als einem Drittel der jährlichen Wirtschaftsleistung der USA. Und ein Ende ist nach den jüngsten Beschlüssen des FOMC nicht in Sicht. Kein Wunder, dass bei dieser Ausweitung des Dollar-Angebots die US-Währung schwächelt. Sicherlich, auch die Bilanz der Europäischen Zentralbank wurde jüngst deutlich ausgeweitet. Sie ist allerdings im Rahmen der aktuellen Krise bislang „nur“ von 4,7 Billionen auf 5,65 Billionen Euro angeschwollen (siehe blaue Linie im folgenden Chart, rote LInie = Fed-Bilanz). Allerdings entspricht dies etwa 44 % der Wirtschaftsleistung der Euro-Zone. In absoluten Zahlen liegt also die Fed vorne, in relativen Zahlen hingegen die EZB. Euro ist derzeit klar im Vorteil Im März kam der EUR/USD ebenso schnell zurück, wie er zuvor gestiegen war. Ob es dieses Mal auch so sein wird? Möglich. Doch derzeit halte ich den aktuellen Ansatz des Euro zu einer Trendwende für nachhaltiger. Denn mit der Unterstützung der europäischen Regierungen und der EZB wurden (1.) die Risiken für die Eurozone verringert. Zudem ist (2.) die Zinsdifferenz, die bislang für den Dollar sprach, inzwischen ausgeglichen. Und das wird sich gemäß den jüngsten Projektionen der Fed auch in den kommenden zwei Jahren nicht ändern. Außerdem zeigen die Entwicklungen, wie oben bereits geschrieben, dass die Anleger (3.) mehr Vertrauen in die Maßnahmen der Eurozone haben. Nach aktuellen Prognosen wird sich (4.) die Wirtschaftserholung in den USA zwar schneller gestalten als in der Eurozone, doch wegen der hohen Anzahl an Coronavirus-Infizierten in den USA darf man an diesen Prognosen zweifeln. Von der Abwärts- über eine Seitwärts- in eine Aufwärtstendenz Schon in der Börse-Intern vom 28.11.2019 hatte ich die Zinsdifferenz als einzigen Vorteil für den Dollar ausgemacht. „Und dieser erklärt die moderate Abwärtstendenz des Euro. Ich halte diese aber für endlich. Die Trendwende ist zwar vorerst hinfällig, aber ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass der Wechselkurs zumindest von einer Abwärts- in eine Seitwärtstendenz übergeht“, hieß es damals. Die Abwärtstendenz (dicke grüne und rote Linien im Chart) wurde durchbrochen. Und tatsächlich kann man inzwischen eine Seitwärtstendenz unterstellen, auch wenn diese wesentlich volatiler ablief als zuletzt in der vorangegangenen Analyse vom 28. Januar erwartet (siehe gelbes Rechteck). Doch vom Mittelwert (1,10 bis 1,12 USD) hat sich der Kurs nicht nachhaltig entfernt. Wenn der aktuelle Rücksetzer nicht allzu stark ausfällt und der EUR/USD danach wieder zulegen und über die beiden spitzen Hoch steigen kann, dürfte nach der Abwärts- auch die Seitwärtstendenz enden und sich eine Aufwärtsbewegung etablieren. Fällt der Wechselkurs aber bis auf unter 1,10 USD zurück, dürfte sich die Seitwärtstendenz noch etwas fortsetzen. Fazit Die Aktienkurse sind seit Beginn der Corona-Krise Ende Februar nicht nur in einem Rekordtempo gefallen, sie erholen sich auch so schnell wie noch nie. Ähnlich volatil ist die Lage im EUR/USD. Gesund ist das alles sicher nicht. Hoffen wir, dass es bald zu einer Normalisierung an den Märkten kommt. Die hohe Volatilität ist schwer zu traden. Grundsätzlich sind im EUR/USD aber aktuell Long-Trades möglich. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer Geldanlage Ihr Sven Weisenhaus www.stockstreet.de
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