der Pottschnitt ist politisch, denn Haare zeigen immer auch Haltung. Das gilt nicht erst seit Anbruch des harten Lockdowns und der Schließung der Friseursalons, das war zu allen Zeiten so. Ob Dreadlocks, Iro, haupthaarlos, ob Zöpfe oder schnittiger Jean-Seberg-Look: Hinter jeder Frisur steckt eine Fasson. Und so ist auch das, was wir heute als „bowl cut“ feiern, ursprünglich nur eine Art Arme-Leute-Frisur gewesen, mit der man sein Faible fürs Unkonventionelle unterstreichen konnte. Doch was aus Not geboren wurde, das erlebt gerade in der Corona-Krise wieder verstärkt Nachfrage. Setzt man sich also in Anbetracht coiffeurischer Alternativlosigkeit einen Suppentopf auf den Kopf, lässt dann ein Mitglied des eigenen Haushalts in die berüchtigte 1,5-Meter-Gefahrenzone treten, um mit flinker Hand und scharfer Schere den überbordenden Haarwuchs zu bändigen, dann kann das in Zeiten wie diesen durchaus als Akt ästhetischer Notwehr durchgehen. „Berliner haben Lockendown“ Denn wir alle sind dieser Tage Leidende auf der Suche nach Zähmung unserer widerspenstigen Frisur. Eine große Hauptstadt-Zeitung schrieb daher gerade in ihrem unnachahmlichen Drang nach Umwortung der bestehenden Worte: „Berliner haben Lockendown“. Gesegnet also sei der Mann (oder die Frau), der jemanden hat, der die Locken runterholt. Was aber machen derzeit all die Singles – die Witwen, Waisen und einsamen Herzen? Abhilfe schafft vielleicht eine andere Meldung aus dem Berliner Zeitungs-Dschungel: „Komparsen für 4. Staffel von Babylon Berlin gesucht“. Aufgerufen sind Männer im Alter zwischen 18 und 50 sowie Frauen jeden Alters. Die Männer sollten nicht größer als 1,85 sein, und sie sollten sich darauf einrichten, von der Maskenbildnerin einen Fasson-Schnitt verpasst zu bekommen. Rettung ist nahe! Halten Sie also durch, Rettung ist nahe! Und das gilt nicht nur bei haarigen Sachen. Unser Gastautor Thomas Sattelberger etwa hat sich mal Gedanken darüber gemacht, wie man den wegen Corona massenhaft ausfallenden Schulunterricht in den Griff kriegen könnte. Sein Vorschlag: „Warum bieten die Rundfunkanstalten nicht vormittags reines Bildungsfernsehen an und probieren sich als echte Helfer in der Krise aus?“ Cicero hat eben für jede Problemlage eine passende Lösung. Stichwort „Impf-Dilemma“: In seinem Beitrag „Was öffentlich finanziert wird, sollte auch öffentlich sein“, schlägt unser Hospitant Jakob Arnold vor, den Patentschutz der Arzneimittelhersteller noch einmal neu zu überdenken. In der Krise geht es schließlich auch um Schutz und nicht nur um Lizenzen und Exklusivrechte. In diesem Sinne: Schützen Sie Ihr Recht auf einen guten Haarschnitt! Ihr Ralf Hanselle, Stellvertretender Chefredakteur |