Der Hintergrund: Die Deutsche Börse hebt die Trennung der Segmente Tech und Classic auf. Lesen Sie, was das für Folgen hat... Zunächst zu den unmittelbar anstehenden Änderungen: Es gibt nun strengere Fast-Entry- bzw. Fast-Exit-Regeln, weil Marktteilnehmer die zu häufigen Wechsel der enthaltenen Werte kritisierten, speziell im TecDAX. Gedreht wird dabei an den Stellschrauben Aktienanzahl und Free-Float (Zahl der frei handelbaren Aktien). Der Generika-Hersteller Stada wird sich aus der DAX-Familie verabschieden und wohl den Aktien des Essenslieferanten Delivery Hero die Tür zum MDAX öffnen. Auch der Online-Marktplatzbetreiber Scout24 wäre gern mit dabei im MDAX. Nach Marktkapitalisierung wäre er mit dabei. Allerdings ist der Börsenumsatz als weiteres Kriterium relativ schwach. Schaffen beide den Sprung, dann dürfte wahrscheinlich der Gabelstaplerhersteller Jungheinrich aussortiert werden und wieder in den SDAX zurückkehren. Gefährdet ist alternativ aber auch das Büro-Immobilienunternehmen Alstria Office. Im TecDAX dürfte es nur eine Veränderung geben: Siemens Healthineers wird Aumann ersetzen. Der Autozulieferer hatte zuletzt unter dem abflauenden E-Mobility-Hype und eher durchwachsenen Quartalszahlen gelitten. Die Aktie verlor deutlich an Wert. Das ist aber nicht der Grund für den Rausschmiss: Die Sektoreinstufung von Aumann wird von „Tech“ auf „Classic“ geändert. E-Mobility ist zwar eine technologisch anspruchsvolle Wachstumsbranche, aber letztlich ist Aumann eben ein Automobilzulieferer, der noch dazu bisher den Großteil seiner Umsätze mit herkömmlichen Herstellern macht. Aumann dürfte sich dann letztendlich im SDAX wiederfinden. Die Siemens-Tochter Healthineers ist dagegen von Anfang an ein Schwergewicht. Beim IPO wurden Aktien im Wert von 4,2 Milliarden Euro platziert. Der Medizintechnikkonzern schaffte damit den bisher wertvollsten Börsengang in diesem Jahr in Deutschland. Siemens Healthineers wird damit (auf Basis der Marktkapitalisierung) am 15.Juni (an diesem Tag gibt es eine neue Indexverkettung) zum viertschwersten Unternehmen in dem 30 Werte umfassenden Index werden - aber nur vorerst! Denn: Künftig können auch Technologie-Unternehmen aus dem DAX und MDAX in den TecDAX aufgenommen werden - und umgekehrt. Die großen TecDAX-Firmen kommen auch in den DAX und MDAX. Experten wie Michael Bissinger von der DZ Bank loben die neuen Vorgaben. Die Trennung von Technologie- und klassischen Sektoren sei nicht länger zeitgemäß, argumentiert der Analyst in einer neuen Studie. Vorbild ist - wieder mal - die USA: Dort sind viele Unternehmen beispielsweise in einem Nasdaq-Index und gleichzeitig im S&P 500 gelistet. Die Indexzugehörigkeit spiegele zudem nach der Regelwerksänderung die Größenverhältnisse der deutschen Werte besser wider. Indizes werden durcheinander gewirbelt Damit werden die Indizes ganz schön durcheinander gewirbelt. Konkret dürften damit ab 24. September auch die Deutsche Telekom, Infineon und SAP im TecDAX enthalten sein. Damit es keine zu großen Übergewichtungen gibt (gewichtet wird nach Marktkapitalisierung, so dass die drei genannten Werte "übermächtig" wären) wird ein Cap eingeführt. Die Maximale Gewichtung eines Wertes wird bei zehn Prozent liegen. Da es bei insgesamt 30 Werten bleibt, wird es unter den kleinsten Vertretern Opfer geben. Gefährdet sind hier u.a. Medigene und SLM Solutions. Die geringen Börsenumsätze könnten Carl Zeiss Meditec, Bechtle, Nemetschek und Jenoptik zum Verhängnis werden. Gleichzeitig kommen die allermeisten TecDAX-Werte zusätzlich in den MDAX oder den SDAX. Damit hier nicht zu viele Aktien die Indizes verlassen müssen wird der MDAX von 50 auf 60 und der SDAX von 50 auf 70 erweitert. Somit haben quasi alle 30 TecDAX-Werte in einem der Indizes Platz. Zusätzlich sollen so die Repräsentativität der Indizes sowie eine weiterhin hohe Liquidität und Handelbarkeit sichergestellt werden. Perspektivisch wird es spannend sein zu sehen, wer es aus dem bisherigen TecDAX als Erstes in den DAX schafft. Ein heißer Kandidat ist hier Wirecard die inzwischen in Punkto Marktkapitalisierung nur noch knapp hinter der Deutschen Bank liegen. Das wäre noch vor ein paar Jahren undenkbar gewesen. Damit sich die Marktteilnehmer besser auf die Veränderungen einstellen können, wird die Deutsche Börse ab 18. Juni so genannte Schattenindizes veröffentlichen, die die Indizes MDAX, SDAX und TecDAX nach dem neuen Regelwerk abbilden und die aktuellsten Daten der Mai-Rangliste berücksichtigen. Diese sind aber natürlich vorläufig. Bis September kann es hier noch Änderungen geben. Wer gewinnt an Bedeutung? Die Änderungen sind das Ergebnis einer Befragung von Banken, Fondsgesellschaften, Indexfondsanbieter und auch den börsennotierten Unternehmen selbst. Die Deutsche Börse hatte diese Umfrage bereits im Februar angekündigt und im April nochmal verlängert. Unklar ist noch welche Folgen das für die Bedeutung der einzelnen Indizes haben wird. Index-Experte Uwe Streich von der Landesbank Baden-Württemberg spricht von einer "Zweitmitgliedschaft", die die Firmen künftig im TecDAX haben werden. "Der TecDAX wird mit diesen Neuerungen in der Wahrnehmung weiter verlieren und allenfalls noch bei ein paar Puristen Beachtung finden", ist er überzeugt. Andere hingegen sehen durch die genannten strengeren Entry- und Exit-Regeln sowie die Aufnahme der Schwergewichte aus dem DAX mehr Stabilität und eine Aufwertung des TecDAX. Der TecDAX ist seit 2003 der Nachfolger des Neuen Markt-Auswahlindex Nemax 50. Der Neue Markt wurde nach dem Platzen der Internetblase und nach zahlreichen Bilanzskandalen abgeschafft. Einige überlebende Nemax-Unternehmen hatten den Sprung in den TecDAX geschafft. Der Index hat aber bisher nicht die Bedeutung von MDAX oder SDAX erlangt und gilt als Stiefkind unter den Indizes der Deutschen Börse. Neben der häufigen Wechsel ist das auch den eher geringen Handelsumsätzen geschuldet. Es gibt auch nur relativ wenige börsengehandelte Indexfonds (ETFs), die den TecDAX nachbilden. Eindeutig positiv sind die Änderungen dagegen für die großen Unternehmen im TecDAX, die den Sprung in den MDAX schaffen. Schaffen dürften das mit relativ hoher Sicherheit zum Beispiel Wirecard, United Internet, Scout24, Freenet, Delivery Hero, Qiagen, Siemens Healthineers. Sie dürften damit noch größere Aufmerksamkeit bei Investoren erhalten. Das könnte den Kursen durchaus auch schon im Vorfeld Rückenwind verleihen. Einige ETF-Anbieter dürften bereits vorgreifend entsprechende Positionen aufbauen und damit die Nachfrage ankurbeln. Chancen haben auch Sartorius, Siltronic, MorphoSys, die Software AG, Cancom und Evotec sowie Puma aus dem SDAX. Nach dem Ausstieg des französischen Großaktionärs hat sich der Streubesitzanteil deutlich erhöht, was zu höheren Börsenumsätzen führen dürfte. Absteigen in den SDAX könnten dagegen Ceconomy (wegen der schlechten Kursentwicklung) und Krones wegen des geringen Streubesitzes. MEIN FAZIT: Die dramatisch zunehmende Bedeutung und Marktkapitalisierung des Technologie-Sektors hat nun auch Auswirkungen auf die Zusammensetzung der DAX-Indizes. Aus meiner Sicht ist es vollkommen richtig und letztlich überfällig, dass Schwergewichte aus dem TecDAX ab September auch in den beiden wichtigsten deutschen Indizes, dem DAX und dem MDAX enthalten sein werden. Hinweispflicht nach §34b WpHG: Die Geldanlage-Report-Redaktion ist in einem der genannten Wertpapiere / Basiswerte zum Zeitpunkt des Publikmachens des Artikels investiert: Ceconomy. Es können daher Interessenskonflikte vorliegen Die in diesem Artikel enthaltenen Angaben stellen keine Aufforderung zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren dar. |