Darum ist der Goldpreis mit Skepsis zu betrachten
Darum ist der Goldpreis mit Skepsis zu betrachten von Sven WeisenhausDie Börsen befinden sich aktuell in recht ruhigem Fahrwasser. Mit moderaten Kursschwankungen geht es auf und ab, ohne dass es dabei zu nennenswerten charttechnischen Signalen kommt (zumindest in den von mir beobachteten Werten und auf den von mir im Wesentlichen analysierten Zeitebenen). Dabei gäbe es durchaus Nachrichten, die das Potential haben, zu größeren Kursbewegungen zu führen. Kündigt China das Handelsabkommen? In Sachen Handelsstreit wurde jüngst weiter „gezündelt“, so dass es zu einer neuerlichen Eskalation kommen könnte. Berater der chinesischen Regierung sollen einem Medienbericht zufolge teilweise eine Aufkündigung des Handelsabkommens mit den USA empfohlen haben. Die staatlich kontrollierte Zeitung „Global Times“ zitierte einen Berater der Regierung mit den Worten, es sei im Interesse der Volksrepublik, die jüngste Einigung rückgängig zu machen. Denn die USA könnten sich angesichts der befürchteten Rezession und der bevorstehenden Präsidentschaftswahl momentan keinen Handelskrieg leisten, so der Berater. Angesprochen auf eine eventuelle Überarbeitung des ersten Handelsdeals lehnte US-Präsident Donald Trump diese auf einer Pressekonferenz kategorisch ab. Doch die Anleger lassen sich aktuell nicht aus der Ruhe bringen. Denn schließlich gilt das Handelsabkommen ja bislang noch, und sollte es zu einer erneuten Eskalation im Handelsstreit kommen, dann werden die Notenbanken sicherlich auch dieses Problem lösen, so offenbar die derzeitige Haltung der Anleger. Und damit setzt sich die Vermögenspreisinflation fort. Starker Rückgang der Inflation in den USA Die Verbraucherpreisinflation legt derweil eine klare Pause ein. Denn heute wurde in den USA gemeldet, dass der Verbraucherpreisindex im April gegenüber dem Vormonat um 0,8 % gesunken (!) ist, nach bereits -0,4 % im März. Das ist der stärkste monatliche Rückgang seit Dezember 2008 und damit – wie soll es auch anders sein – seit der Finanzkrise. Die Jahresteuerungsrate hat sich dadurch auf +0,3 % reduziert, nach +1,5 % im März. Grund für die gedämpfte Inflation bzw. den Rückgang der Verbraucherpreise im Vergleich zum Vormonat ist der scharfe Einbruch der Ölpreise. Energie ist im Vergleich zum Vorjahr derzeit in den USA um 17,7 % günstiger zu haben. Die Kernrate der Inflation, die schwankungsanfällige Preise unter anderem für Energie ausklammert, ging daher auch nur auf +1,4 % in der Jahresrate zurück. Wobei die Monatsrate aber mit -0,4 % ebenfalls in den negativen Bereich rutschte. Und das dürfte auch ein Effekt der aktuellen Krise sein, die den Konsum im Allgemeinen belastet, so dass es daher trotz der massiven Liquiditätsspritzen nicht zu Inflation kommen kann. Genau darauf hatte ich am 3. April hingewiesen, als unter der Überschrift „Stecken wir schon wieder in einer Vermögenspreisinflation?“ zu lesen war, dass die Verbraucherpreise infolge der aktuellen Krise sogar sinken können, während die Vermögenswerte ansteigen. Und zwei Tage zuvor hatte ich geschrieben, dass eine höhere Inflation auf absehbare Zeit kein Thema sein wird, sondern eher das Gegenteil der Fall sein könnte (siehe „Warum kann Gold nicht stärker profitieren?“). Weniger Inflation und weniger Notenbanknachfrage Und damit komme ich zum Goldpreis. Anfang April hatte ich dazu auch geschrieben, dass die Notenbanken als große Nachfrager ausfallen könnten, weil „sie ihre Liquidität benötigen, um sie in die Wirtschaft zu pumpen“. Und wie aktuelle Zahlen des World Gold Councils (WGC) zeigen, sind die Nettokäufe der Zentralbanken im 1. Quartal 2020 bereits um 8 % gesunken im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Und diese Tendenz dürfte anhalten, da zum Beispiel Russland angekündigt hatte, ab dem 1. April gar kein Gold mehr zu erwerben. Im vergangenen Jahr hat Russland immerhin noch 158 Tonnen Gold erworben. Und laut dem WGC hat Russland kürzlich einen Teil seiner Reserven abgebaut, um die eigene Währung angesichts niedrigerer Ölpreise und der wirtschaftlichen Auswirkungen des Ausbruchs des Coronavirus zu schützen. Einen ähnlichen Bedarf dürfte auch die Türkei haben. Hat das Land seine Goldreserven im 1. Quartal 2020 noch um 72,7 auf 485,2 Tonnen erhöht, dürfte es angesichts der Krise aktuell wohl deutlich weniger Edelmetall nachfragen. Schließlich befindet sich auch die türkische Lira, ähnlich wie der russische Rubel, unter erheblichen Abwertungsdruck. Und so könnte das Land eher genötigt sein, ebenfalls Goldreserven auf den Markt zu werfen, um die in heimischer Währung steigenden Auslandsschulden zu begleichen. Das Fehlen regelmäßiger russischer Goldkäufe wird laut dem WGC „zweifellos einen erheblichen Einfluss auf das Niveau der weltweiten Nettokäufe insgesamt haben“. Ich würde die Türkei noch als Belastungsfaktor hinzunehmen. ETF-Käufe lassen Goldnachfrage um 1 % steigen Immerhin: Im 1. Quartal 2020 lag die Gesamtnachfrage nach Gold bei 1.083,8 Tonnen (t), ein Plus von 1 % im Jahresvergleich. Treiber der Nachfrage war dabei laut WGC der Ausbruch des Coronavirus. „Als sich das Ausmaß der Pandemie - und ihre möglichen wirtschaftlichen Auswirkungen - abzeichnete, suchten die Anleger nach sicheren Häfen“, heißt es im Gold-Bericht des WGC zum 1. Quartal 2020. Gold-besicherte ETFs verzeichneten Zuflüsse von 298 t, ein Plus von 300 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Allerdings hatte ich in vergangenen Gold-Analysen schon des Öfteren kritisiert, dass sich die Bestände an solchen Produkten auch immer wieder schnell reduzieren, da hier eher spekulative Anleger am Werk sind. Anleger, die aus langfristigen Sicherheitsaspekten Gold kaufen, investieren dagegen eher in Barren und Münzen. Die Nachfrage danach ist aber im 1. Quartal auf 241,6 t und damit um 6 % gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen. Und angesichts der Krise und einer dadurch steigenden Arbeitslosigkeit ist kaum zu erwarten, dass die Nachfrage nach physischem Gold auf absehbare Zeit stark ansteigen kann. Das zeigt bereits die Nachfrage nach Schmuck, die von den Auswirkungen des Virusausbruchs bereits im 1. Quartal 2020 stark betroffen war – mit nur 325,8 t brach diese Nachfrage um 39 % ein und erreichte ein Rekordtief. In China, wo das Virus als erstes Ausbrach, ging die Schmucknachfrage in den ersten drei Monaten des laufenden Jahres sogar um sagenhafte 65 % zurück. Man kann sich vorstellen, wie sich die Schmuck-Nachfrage in den Ländern entwickelt, in denen das Virus erst im 2. Quartal 2020 so richtig gewütet hat. Corona-Krise störte die Goldminenproduktion Und so könnte der Goldpreis seit dem Einbruch im März auch eher deswegen wieder gestiegen sein, weil das Angebot als Folge der Krise gesunken ist. Die Minenproduktion fiel aufgrund von Störungen in den Betrieben im Vergleich zum 1. Quartal 2019 um 3 % auf 795,8 t und erreichte damit ein Fünfjahrestief. Da auch weniger Gold recycelt wurde (-4 % auf 280,2 t, ein 2-Jahrestief), sank das Gesamtangebot im 1. Quartal um 4 % zum Vorjahr. Einer um 1 % gestiegenen Nachfrage von 1.083,8 t stand also einem um 4 % gesunkenen Angebot von 1.066,2 t gegenüber. Es herrschte ein Nachfrageüberhang von 17,6 t, weswegen der Goldpreis ansteigen konnte. Darum ist der Goldpreis mit Skepsis zu betrachten Die genannten Zahlen lassen mich allerdings sehr skeptisch zurück. Denn die Goldnachfrage wurde im 1. Quartal 2020 ausschließlich durch steigende ETF-Käufe getrieben. Die ETF-Bestände gelten aber als leicht veräußerbar. Und wenn die Corona-Krise langsam zu Ende geht, könnte es zu ETF-Verkäufen durch diejenigen Anleger kommen, die sich nur zum Krisenschutz Bestände aufgebaut haben. Und weil Inflation derzeit kein Thema ist, ist ein alternativer Bedarf an Gold als (Inflations-)Schutz aktuell nicht gegeben. Zugleich könnte durch die Lockerung von Schutzmaßnahmen die Produktion der Goldminen wieder steigen. Das Angebot an Gold könnte also von zwei Seiten befeuert werden. Eine steigende Nachfrage, welche dieses höhere Angebot auffangen könnte, ist dagegen aktuell nicht absehbar. Geld für Goldschmuck, Münzen oder gar Barren dürfte angesichts einer höheren Arbeitslosigkeit auf absehbare Zeit kaum in ausreichendem Maße vorhanden sein. Und die Notenbanken dürften noch viele Monate damit beschäftigt sein, die Auswirkungen der Krise zu bekämpfen. Goldreserven lassen sich in einer solchen Phase kaum in größerem Maße aufbauen, einige Länder müssen ihre Goldreserven eher abbauen, damit sie die freiwerdende Liquidität nutzen können. Bleibt die Nachfrage also gleich bzw. geht sie insbesondere durch die Aktivitäten der Notenbanken sogar zurück, während das Angebot bei einer Entspannung der Corona-Krise wieder zulegt, könnte es sehr schnell wieder zu einem Angebotsüberhang kommen – und damit zu fallenden Goldpreisen. Man muss sich ja nur den aktuellen Nachfrageüberhang im 1. Quartal 2020 ansehen, der bei 17,6 t lag (siehe oben). Allein die Türkei hat im 2. Quartal 72,7 t nachgefragt (siehe ebenfalls oben). Dieses einzelne (in einer schweren Krise steckende) Land muss also im 2. Quartal nur ein Viertel weniger Gold kaufen, damit der Nachfrageüberhang gleich null ist. Aufwärtstrend ist aktuell noch klar intakt Aktuell ist der Aufwärtstrend im Goldpreis aber noch klar intakt. Es liegen seit dem Tief von 2015 höhere Tiefs (siehe grüne Balken im folgenden Chart) und höhere Hochs vor. Mit Blick auf den (folgenden) kurzfristigen Chart bildet sich zudem derzeit eine Wimpel-Formation aus (blaue Linien), die trendbestätigend ist und somit in Kürze weiter steigende Kurse erwarten lässt. Doch am Hoch von 2011 bei rund 1.900 USD ich würde weiterhin Gewinne mitnehmen (siehe auch Börse-Intern vom 1. April). Und wenn der Goldpreis auf unter 1.532,80 USD nachgeben sollte, sehe ich den Aufwärtstrend als stark gefährdet an. Dann erwarte ich wieder eher eine große Seitwärtstendenz des Edelmetalls oder langfristig nur moderat steigende Preise bei mittelfristig größeren Kursschwankungen. Sollte es den Notenbanken allerdings nicht gelingen, die massive Liquidität rechtzeitig aus den Märkten zu nehmen, und sollten die großen Währungen in der Folge an Vertrauen verlieren und abwerten, insbesondere der US-Dollar, dann könnte die Vermögenspreisinflation auch den Goldpreis noch deutlich weiter nach oben treiben. Man sollte also in den kommenden Wochen und Monaten die Geldpolitik, die Zinsentwicklung, die Staatsschulden und die Währungen im Auge behalten, wenn man in Gold investiert. Interessant ist in diesem Zusammenhang übrigens auch die Gold-Analyse vom 13.08.2019 (siehe "Wie die Notenbanken für den Goldpreisanstieg verantwortlich sind"). Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer Geldanlage Ihr Sven Weisenhaus www.stockstreet.de
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