So werden nicht börsennotierte Tech-Firmen bezeichnet, deren Marktwert bei der letzten Finanzierungsrunde mehr als eine Milliarde US-Dollar betragen hat und die normalerweise über Venture Capital-Firmen finanziert werden. Lesen Sie, warum eine weitere Verschlechterung der Situation auch erfolgsverwöhnten Tech-Giganten wie Facebook erhebliche Schwierigkeiten bereiten und letztlich sogar einen Abwärtsstrudel an der NASDAQ auslösen könnte: Gleich mehrere dieser Unicorns mussten zuletzt beim IPO deutliche Abstriche machen. Jüngstes Beispiel ist Cloudera. Vor drei Jahren noch hatte Intel zu einer Bewertung von 4,1 Milliarden US-Dollar in das Unternehmen investiert. Beim Börsengang in der vergangenen Woche war Cloudera dann nur noch 1,9 Milliarden US-Dollar wert (bzw. 2,6 Milliarden, wenn man den Wert von Mitarbeiter- und anderen Optionen hinzurechnet). Ein heftiger Abschlag für das Unternehmen, das mit seiner Software den Umgang mit Big Data vereinfachen möchte. Ähnlich hohe Discounts hatte es zuvor bereits bei Square, Hortonworks, Box und Apptio gegeben. Das ist nicht nur für Investoren enttäuschend sondern auch für die Mitarbeiter, deren Aktienoptionen nun viel weniger Wert sind als erwartet. Solche relativen Flops waren noch vor ein, zwei Jahren absolute Ausnahmen. Bei den Börsengängen solcher Erfolgsstories waren im Gegenteil weitere drastische Bewertungsaufschläge im Vergleich zur Vor-IPO-Bewertung Usus. Die explosive Ausbreitung der Einhörner Werfen wir einen Blick zurück: Einhörner heißen deshalb so, weil sie noch vor einigen Jahren sehr selten waren bzw. wenn man etwas weiter zurück geht tatsächlich reine Fantasie. Selbst Google oder Amazon waren als private Unternehmen (also vor 2004) noch keine Unicorns. Die explosive Ausbreitung dieser Spezies fiel zeitlich nicht zufällig mit dem Siegeszug von Facebook zusammen, die im Mai 2012 ihr IPO hatten. Durch die fast unfassbare Geschwindigkeit, in der das erst 2004 gegründete Unternehmen seinen Wert steigern konnte, warfen auch immer mehr Venture Capital-Firmen ihre Vorsicht über Bord. Diese hatte im kalifornischen Technologiemekka Silicon Valley lange vorgeherrscht nachdem die zur Jahrtausendwende geplatzte Technologieblase den Start-Up-Markt nahezu komplett abgewürgt hatte. Als dann Aileen Lee von Cowboy Ventures den Begriff im November 2013 in einem TechCrunch-Blogposting eingeführt hatte, waren es dann bereits 39 von Venture Capital-Gebern unterstützte Firmen, die die 1-Milliarde-US-Dollar-Schallmauer überwunden hatten. Bei einer "Neuzählung" durch das Fortune-Magazin im Januar 2015 war die Zahl der Unicorns dann schon auf über 80 angestiegen. Die Ausbreitung der Spezies war regelrecht explosiv. Den Höhepunkt erreichte der Boom im 3. Quartal 2015 als es innerhalb von drei Monaten satte 25 Neuzugänge bei nur 2 Abgängen gab. Neue Milliardenfirmen wurden quasi am Fließband produziert. Der rasante Siegeszug des "Mobile Web" und des "Social Networking" mit dem Smartphone als Hardware bot Raum für viele neue, hochskalierbare Geschäftsmodelle. Immer mehr Branchen, die sich im Zuge des Web 1.0 noch vor der Digitalisierung abschirmen konnten, werden nun von Tech-Pionieren attackiert, allen voran Banken und andere Finanzdienstleister. Euphorie griff um sich. Die wurde dann allerdings Ende 2015 jäh gestoppt, einhergehend mit einer deutlichen Korrektur an der NASDAQ. Seither ist der Wachstumsmotor ins Stocken geraten, obwohl die NASDAQ selbst längst wieder neue Hochs macht. Eine aktuelle Auswertung des "Wallstreet Journal Billion Dollar Start-Up Clubs" zeigt, dass die Zahl der weltweiten Unicorns seit mehreren Quartalen im Bereich von knapp über 150 stagniert. Im ersten Quartal 2017 erblickten nur noch drei neue Unicorns das Licht der Welt, während gleich vier aus dem elitären Club heraus fielen. Das wäre an sich nicht besorgniserregend, aber in Verbindung mit den ersten Rissen, die sich am IPO-Markt zeigen, steigen aus meiner Sicht die Risiken. Für Aktienmärkte ist es ja nicht untypisch, dass sie noch eine Zeitlang weitersteigen, solange die Top-Player - wie diese Woche Facebook - mit starken Quartalsergebnissen überzeugen, selbst wenn es an der Basis bereits brodelt. Da beruhigt es auch nur wenig, dass Goldman Sachs den IPO-Markt für noch intakt hält. Wie eine Stagnation zur Krise werden könnte Gerade Facebook ist aber ein gutes Beispiel dafür, warum ein Abschwung an der Basis des Silicon Valley (also bei den Start-Ups) auf größere Player übergreifen könnte. Ein signifikanter Teil der Werbeeinnahmen der Social Media-Dominatoren um Marc Zuckerberg kommt im Moment noch von Venture Capital-gestützten Firmen, die heftig investieren, um den Download ihrer Apps via Facebook zu promoten. "Je größer diese Abhängigkeiten werden, umso größer wird auch die Wahrscheinlichkeit, dass wir richtige Probleme bekommen, wenn sich etwas verlangsamt", warnt beispielsweise der UBER- und Snapchat-Investor Bill Gurley. Beispiel Beepi: Gegründet im Februar 2013 startete das Unternehmen in San Francisco mit dem Ziel, seinen Kunden eine Erfolgsquote von 100 Prozent beim Verkauf ihres Gebrauchtwagens zu einem garantierten Preis zusichern zu können. Wenn Beepi es nicht schaffte, innerhalb von 30 Tagen einen Käufer zu finden, kaufte es das Auto selbst, erhöhte den Preis und strich dann die Differenz selbst ein, wenn es den Wagen verkaufte. Die Kunden kamen, verständlicherweise, in Scharen. Die ersten Venture Capital-Geber investierten. Die Bewertung begann zu steigen. Von 12 Millionen US-Dollar Anfang 2014 ging es bis auf 525 Millionen US-Dollar Mitte 2015. Das Unternehmen wuchs rasant, zog in schicke, lichtdurchflutete Räumlichkeiten um, wo der CEO mit seinem eigenen Segway durch die Gänge fegte. Die Mitarbeiter wurden mit hochwertigem Gesundheits-Food versorgt, wenn sie abends länger blieben und diverse Möglichkeiten zu Freizeitaktivitäten gab es auch. Über allem stand das Credo "Wachstum um jeden Preis". Der komplette US-Markt wurde überzogen, Konkurrenten aus dem Markt gedrängt. Geld spielte scheinbar keine Rolle: Beepi investierte ein Vermögen, um Käufer und Verkäufer anzulocken. Bevorzugtes Medium: Radiowerbung und Facebook-Anzeigen. In den meisten seiner regionalen Märkte gab man durchschnittlich 1.730 US-Dollar je Fahrzeug(!) für die Werbung aus. Aber mit der Zeit wurde Beepi von immer mehr Autos aus der Bahn geworfen, die für mehr als einen Monat nicht verkauft werden konnten und die man deshalb auf eigene Rechnung übernehmen musste. Speziell bei Luxuskarossen fuhr man hier teilweise Verluste von 5.000 US-Dollar je Auto und mehr ein. Zwar wuchsen die Umsätze im ersten Halbjahr 2016 schnell um rund 40 Prozent auf 50 Millionen US-Dollar, aber weil wenig Zusatzumsätze durch Reparaturen und ähnliches erzielt wurden, wuchsen mit den Umsätzen auch die Verluste. 2016 verlor Beepi bis zu fünf Millionen US-Dollar pro Monat(!). Zwar arbeitete man an Kostensenkungen, aber die Profitabilität war erst für 2018 angepeilt. CEO Ale Resnik musste dann Mitte 2016 auf die Jagd nach neuen Investoren gehen, aber die waren bereits abgeschreckt und wollten nicht neu investieren. Ende 2016 mussten dann die meisten Mitarbeiter entlassen werden. Inzwischen wurde das Unternehmen komplett abgewickelt nachdem mehrere Verkaufsversuche gescheitert waren. Das zeigt wie schnell das Blatt sich wenden kann. Zwar fließt nach wie vor viel Geld in Start-Ups aber der Trend geht dahin, dass die meisten Venture Capital-Geber in die gleichen Firmen investieren möchten, entweder in die besonders großen Unicorns wie AirBNB, UBER und WeWork oder in jüngere Firmen mit klar vorgezeichnetem Weg in Richtung Profitabilität. Das Problem dabei: Viele der anderen Start-Ups und auch Unicorns, die 2015 im Zuge des Hypes nochmal richtig zugelangt haben, brauchen bald neues Kapital, könnten aber leer ausgehen. Denn: Firmen, die nicht börsennotiert sind und deren Bewertungen 2014 und 2015 hochgejazzt worden sind, haben es schwer ihre enttäuschten Kapitalgeber auf deutlich niedrigerem Niveau zum Nachschießen zu überreden. Dann könnte eine Abwärtsspirale in Gang kommen, die sich auch auf das Wachstum von Facebook, Google und anderen überwiegend werbefinanzierten Playern auswirkt. Weil diese inzwischen wiederum zu den absoluten Schwergewichten am US-Markt zählen, würde das auch Folgen für den Gesamtmarkt haben. Facebook (ISIN: US30303M1027) | | WKN / Kürzel | Börsenwert | KGV 17e/18e | Kurs | A1JWVX / FB | 438 Mrd. USD | 28 / 22 | 150,33 USD | Im Auge behalten muss man darüber hinaus den Immobilienmarkt. Nicht zuletzt in Folge der Start-Up-Euphorie sind die Lebenshaltungskosten und Immobilienpreise an der Westküste der USA - gerade in Hipster-Metropolen wie Portland oder dem Silicon Valley - in den vergangenen Jahren explodiert. Die Immobiliensuchmaschine Zumper, für die eine Million Datensätze analysiert wurden, um Durchschnittspreise für Ein-Zimmer-Wohnungen in 50 amerikanischen Großstädten zu errechnen, hat San Francisco zur teuersten Stadt in den USA erkoren. Für eine Singlewohnung mit nur einem Zimmer zahlt man hier im Schnitt 3.590 US-Dollar Miete pro Monat. Für eine Zwei-Zimmer-Wohnung muss ein Mieter schon 4.870 US-Dollar im Monat berappen. Zeichen einer Überhitzung sind unübersehbar. Das ist nicht ungefährlich. Schließlich hat die US-Notenbank ja gerade - wenn auch noch vorsichtig - die Zinswende eingeleitet. Der deutsche Start-Up-Markt kühlt ebenfalls ab Immer noch die Mehrheit, nämlich 59 Prozent der weltweiten Unicorns kommen aus den USA. Wenn der Markt dort abkühlt schwappt das auf andere Regionen über. Auch viele, eher spekulativ ausgerichtete deutsche Anleger mussten diese Erfahrung bereits machen. Egal ob Rocket Internet, der größte und prominenteste Vertreter dieser Firmen, der auch im SDAX notiert ist oder die German Start-Ups Group: Bei beiden ging es mit dem Aktienkurs nach dem IPO rapide abwärts. Über die Kursimplosion bei der Auden AG, dem dritten Vertreter dieser Gattung, hatte ich ja in den vergangenen Wochen mehrfach berichtet. Der Wert dieser Beteiligungsgesellschaften hängt in erster Linie von der Bewertung der einzelnen Beteiligungen ab, die diese in Finanzierungsrunden erzielen können. German Start-Ups musste hier zum Jahreswechsel bei gleich drei Beteiligungen Abwertungen vornehmen, zudem sei eine große Transaktion verschoben worden. Die Folge: Zwei Gewinnwarnungen innerhalb von acht Tagen! Wichtig wären jetzt auch IPOs, die zeigen, dass der öffentliche Markt auch hierzulande aufnahmefähig für junge Tech-Firmen ist. Gerüchteweise wird gerade der Wertpapierprospekt für die Auden-Beteiligung ViaLight erstellt. Der Börsengang soll noch vor dem Sommer erfolgen. ViaLight Communication ist in der Kommerzialisierung von Laserkommunikation tätig, einer Schlüsseltechnologie für die nächste Generation von Telekommunikationsnetzwerken, dem „Internet über den Wolken“. Die Firma ist eine Ausgründung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. MEIN FAZIT: Die Zahl der US-Neugründungen, die die magische Bewertungsschallmauer von einer Milliarde US-Dollar durchbrechen und so Unicorn-Status erreichen, geht dramatisch zurück. Der Hype aus den Jahren 2014 und 2015 könnte sich umkehren und in eine neue Bewertungsdepression mit zahlreichen Schließungen von Techfirmen münden. Das würde dann auch werbeabhängige Unternehmen wie z.B. Facebook stark treffen, weil die einen großen Teil ihrer Umsätze mit anderen kleinen Techfirmen erzielen, die den Download ihrer Software-Apps über Facebook promoten und dafür enorme Summen ausgeben. Auch der Immobilienmarkt ist stark überhitzt. Deutsche Anleger bekommen die Stagnation im hiesigen Venture Capital-Bereich durch hohe Kursverluste bei Start-Up-Beteiligungsgesellschaften wie Rocket Internet, German Start-Ups Group derzeit bereits hautnah mit. Hinweispflicht nach §34b WpHG: Die Geldanlage-Report-Redaktion ist in den genannten Wertpapieren / Basiswerten zum Zeitpunkt des Publikmachens des Artikels nicht investiert. Es liegt daher kein Interessenskonflikt vor. Die in diesem Artikel enthaltenen Angaben stellen keine Aufforderung zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren dar. |