Sehr geehrte Damen und Herren, | | Thomas Vitzthum Redakteur Politik |
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| ich war im Urlaub. Schlimm, oder? Nun, es gibt oder gab zumindest bis vor Kurzem noch Ziele, in die man einigermaßen sicher reisen konnte und ohne sich eines Vergehens gegen örtliche und sonstige Infektionsschutzregeln schuldig zu machen. Ich war in Italien. Nicht in einem Risikogebiet. Ich bin ausgereist zu einem Zeitpunkt, da wurde mein Wohnbezirk in Berlin ebenfalls noch nicht als solcher geführt. Ich habe mich bis zuletzt genau informiert, alle Anmeldeformulare der italienischen Behörden ausgefüllt, so als würde ich eine Reise nach Nordkorea unternehmen. Ein mündiger Bürger kann reisen. Schlechtes Gewissen? Ja, das reist trotzdem mit. Leider. Im Flieger saß ich neben einem Paar, das diesem Umstand offenbar mit Desinfektionsmittel beizukommen suchte. Die beiden desinfizierten emsig die Stühle, die Tische, anschließend alle Griffe und Hebel, schließlich auch noch das Fenster und die Sonnenblende. Sie hätten wohl auch gern mich desinfiziert. Sie taten mir leid. Ich hielt sie für hysterisch. Doch auch ich musste meine Lektion lernen, was die Pandemie aus mir gemacht hat. Am letzten Abend wurde mein kleines Hotel von einem 100 Meter entfernt gelegenen Garten aus heftig beschallt. Dort fand eine Hochzeit statt. Ich fand das – skandalös. Ich sah nur Schemen, ich hörte aber die Musik und offenbar zahlreiche glückliche Menschen singen, lachen, klatschen, cantare, Uuuh. In den folgenden drei Stunden, bis die Musik nach Mitternacht abgedreht wurde, kämpfte ich mit mir, den offenbar erwachten Corona-Spießer nicht gegen den Menschen obsiegen zu lassen, der für ein Recht auf Ekstase, auf Freiheit, auf Freude, auf Begegnung auch in dieser Krise plädiert und immer wieder Texte in dieser Richtung verfasst hat. Ein heftiger innerlicher Kampf und ich weiß nicht, wer ihn gewonnen hat. Der Spießer oder der andere. Am Mittwoch haben die Ministerpräsidenten und die Kanzlerin neue Corona-Regeln beschlossen (Details finden Sie in der Rubrik „Worüber heute diskutiert wird") und sie werden in den nächsten Monaten tausendfach im Land dazu führen, dass Menschen ähnliche Auseinandersetzungen mit sich führen. Das private und soziale Leben wird stark reglementiert. Es ist nun mit so vielen neuen Regeln behaftet, dass jedes Lachen, jedes Singen, jedes Trampeln vieler Füße, jede größere Gruppe wie eine Attacke auf diese Regeln wirken wird. In Essen wurde schon ein Formular entwickelt, mit dem Bürger online Corona-Sünder melden können. Unsäglich. Natürlich, man muss jetzt keine Hochzeit mit 200 Gästen feiern, man muss weder an einem Rave, noch an der Feier zu Omas 90. teilnehmen. Doch man muss auch keinen Wutausbruch bekommen, wenn in der nächsten Zeit Menschen noch Freude zeigen und dabei mal nicht allein oder zu zweit sind. Die Deutschen haben den Spießer in sich in den vergangenen Jahren eigentlich mehrheitlich in den Bereich des Sprichwörtlichen verdammt. Da soll er bitte bleiben. Was den Tag heute bestimmt, darüber berichtet für Sie jetzt aus dem WELT-Newsroom meine Kollegin Judith Mischke. |
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WAS HEUTE SCHLAGZEILEN MACHT |
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Quelle: Sebastian Gollnow/dpa |
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Corona-Infektionen erreichen neuen Höchstwert |
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Das Robert-Koch-Institut (RKI) hat einen Rekordwert der Corona-Neuinfektionen in Deutschland registriert. Die Gesundheitsämter meldeten dem RKI am Donnerstag 6638 Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden – rund 1500 mehr als am Vortag. Der bisherige Höchstwert von knapp 6300 Neuinfizierten stammt aus dem März. Damals wurde allerdings auch deutlich weniger getestet als heute. Zugleich stieg am Donnerstag die Anzahl der Risikogebiete in Deutschland erneut an. Mittlerweile gibt es 55 Landkreise und kreisfreie Städte, die den Warnwert von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen einer Woche überschritten haben. In Berlin sind sieben von zwölf Bezirken betroffen. Welche Orte und Regionen derzeit als Hotspot gelten, erfahren Sie auf welt.de. |
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Portugal ruft Katastrophenfall aus |
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Die Regierung in Portugal hat wegen der stark ansteigenden Neuinfektionen mit dem Coronavirus den Katastrophenfall ausgelöst. Die Lage sei „ernst", sagte Regierungschef António Costa. Die Zahl der registrierten Neuinfektionen binnen 24 Stunden stieg am Mittwoch auf 2072. Das ist der höchste Wert für das Land seit Beginn der Pandemie. Die Gesamtzahl der Fälle beträgt damit mehr als 91.000. Durch Ausrufung des Katastrophenfalls kann die Regierung deutlich schneller Beschränkungen des öffentlichen Lebens umsetzen. |
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Facebook und Twitter attackieren Trump |
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US-Präsident Donald Trump hat Facebook und Twitter heftig dafür kritisiert, dass sie den Zugang zu einem kritischen Artikel über seinen demokratischen Konkurrenten Joe Biden und dessen Sohn blockiert haben. Das Vorgehen sozialen Netzwerke sei „so schrecklich“, twitterte Trump. Bei dem Streit geht es um einen Artikel der „New York Post" über Bidens Sohn Hunter. Die Zeitung behauptet, sie habe Zugriff auf einen Computer gehabt, der mal Hunter Biden gehört habe. In dem Gerät will das konservative Boulevardblatt Informationen gefunden haben, wonach der frühere Vizepräsident Biden in die Geschäftstätigkeiten seines Sohnes in der Ukraine involviert gewesen sein soll. Der Wahl-Herausforderer Trumps hat dies wiederholt bestritten. Facebook und Twitter blockierten Links zu dem Artikel. Als Grund nannten sie, dass es Zweifel am Wahrheitsgehalt des Berichts gebe. „Dies ist Teil unserer Standardprozedur gegen die Verbreitung von Falschinformation“, erklärte Facebook-Sprecher Andy Stone. Twitter begründete sein Vorgehen mit Fragen zur „Herkunft der Materialien“ für den Artikel. |
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Nawalny legt Kosten für Charité-Behandlung offen |
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Nach dem Giftanschlag auf den Kreml-Kritiker Alexej Nawalny hat dieser nun die Kosten seiner Behandlung an der Berliner Charité veröffentlicht. Nawalny hatte dort über eine Woche auf der Intensivstation gelegen. Der Transport mit dem Flugzeug nach Deutschland habe laut Nawalny 79.000 Euro gekostet und sei von dem russischen Unternehmer Boris Zimin beglichen worden. Die Kosten der Behandlung in der Charité beliefen sich auf insgesamt 49.900 Euro. Dafür seien der russische Unternehmer Evgeny Chichvarkin, der Wirtschaftswissenschaftler Sergej Aleksashenko sowie der IT-Spezialist Roman Ivanov aufgekommen. Nawalnys Konten waren von Russland eingefroren worden. |
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WORÜBER HEUTE DISKUTIERT WIRD |
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Quelle: Stefanie Loos/Pool via REUTERS |
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„Unheil“, das fürchtet Angela Merkel für Deutschland. Wird aus Merkel, der Krisenmanagerin nun Angela, die Untergangsprophetin? „Die Ansagen von uns sind nicht hart genug, um das Unheil von uns abzuwenden", soll sie beim gestrigen Treffen mit den Ministerpräsidenten der Länder gesagt haben. „Dann sitzen wir in zwei Wochen eben wieder hier. Es reicht einfach nicht, was wir hier machen." In jedem Fall werden Merkel und ihre Länderkollegen am 8. November wieder zusammenkommen, da steht nämlich der nächste reguläre Corona-Gipfel an. Aber jetzt geht es erst einmal darum, umzusetzen, worauf sich Kanzlerin und Ministerpräsidenten geeinigt haben – und zugleich damit umzugehen, worauf sie sich nicht verständigt haben. Das Ergebnis der rund neunstündigen Verhandlungen: Die Maskenpflicht wird ausgedehnt und soll überall dort gelten, wo Menschen in der Öffentlichkeit auf engem Raum zusammenkommen. In Regionen mit 35 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohnern soll es bereits Kontaktbeschränkungen geben: maximal 25 Menschen im öffentlichen und 15 im privaten Raum dürfen dann zusammenkommen. Bei mehr als 50 Ansteckungen pro 100.000 sollen bei Feiern im öffentlichen und privaten Raum nur noch zehn Teilnehmer erlaubt sein, wobei Gäste im privaten Raum nur noch aus zwei Haushalten stammten dürfen. Zudem soll es eine Sperrstunde für Restaurants und Kneipen verbindlich ab 23 Uhr geben, sowie ein Verkaufsverbot von Alkohol. Für das Beherbergungsverbot für Gäste aus innerdeutschen Corona-Hotspots fand die Runde keine gemeinsame Lösung. Darüber soll nun am 8. November, also nach den Herbstferien, entschieden werden. Der Deutsche Tourismusverband nannte das einen „herben Rückschlag“ für die Branche. Auch die Grünen übten Kritik, dass das Beherbungsverbot ein „Flickenteppich" sei. Ein „konsequent gemeinsames und konsequent vorausschauendes Handeln“ sei ausgeblieben, sagte Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt mit Blick auf die Ergebnisse des Treffens. Dietmar Bartsch, Vorsitzender der Linken im Bundestag, nahm sich Merkels Auftreten vor: Wer Beschlüsse verkünde „und gleichzeitig das Signal sendet, diese reichen nicht aus, verunsichert in einer sehr komplizierten Lage die Menschen zusätzlich", so Bartsch. „Die weitgehende Disziplin der Bürger ist aber unser wichtigstes Kapital.“ Auch das ist eine Nebenwirkung von Corona: Dass eine Partei wie die Linke besonnener als die Kanzlerin klingt. | |
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WAS HEUTE NOCH WICHTIG WIRD |
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Quelle: Daniel Leal-Olivas/PA Wire/dpa |
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Auch wenn Boris Johnson heute Nachmittag gar nicht in Brüssel anwesend sein wird, wenn sich die Chefs der 27 Mitgliedstaaten zum EU-Gipfel treffen, ist der britische Premierminister das Thema. Denn Johnson droht, die stockenden Brexit-Verhandlungen ganz abzubrechen. London hatte Brüssel ein Ultimatum gesetzt: Sollte bis heute kein Kompromiss mit der EU über die zukünftigen Handelsbeziehungen gefunden werden, steige London aus den Gesprächen aus. Das Problem: Der EU-Gipfel beginnt erst heute und dauert bis morgen an. Zudem hatte die EU erklärt, dass die Verhandlungen noch einige Wochen Zeit bräuchten – und Johnson damit unmissverständlich klargemacht, dass er auf dem Festland nach dem Brexit wenig zu vermelden hat. Großbritannien ist bereits zum ersten Februar aus der EU ausgetreten. Bis Ende des Jahres bleibt das Land aber noch im EU-Binnenmarkt und der Zollunion – wie es danach weitergeht, ist derzeit völlig offen. Wenig freuen wird Johnson auch, dass die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon kurz vor dem Gipfel die EU aufrief, die Schotten bei ihrem Wunsch für ein Unabhängigkeitsreferendum zu unterstützen. Die meisten Bewohner Schottlands wollen Umfragen zufolge in der EU bleiben. In Deutschland kommen heute die Bildungsvertreter der Kultusministerkonferenz zusammen, wenn auch nur digital, um über die dringend benötigten Schulkonzepte zu sprechen. Die Vorschläge werden am Nachmittag präsentiert. | |
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DER NEWSLETTER ZUR US-WAHL |
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Wohl noch nie hing national und international von einer Präsidentenwahl so viel ab wie von dieser: Wie sich die Welt entwickeln wird, darüber entscheidet maßgeblich, wer künftig im Weißen Haus sitzt. In unserem neuen Newsletter zur US-Wahl nehmen unsere Korrespondenten Sie mit an die Orte und zu den Menschen, die diese Wahl prägen. Vom „Place to be“ über „Inside White House“ bis hin zum „Talk of Town” erhalten Sie jeden Dienstag und Freitag Reportagen, Hintergründe und Analysen. Wenn Sie mögen, können Sie sich hier kostenlos anmelden. |
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Erstmals nach ihrer Corona-Infektion meldet sich die Ehefrau von US-Präsident Donald Trump, Melania Trump, zurück. Anders als ihr Mann beschreibt sie emotional, wie es ihr während ihrer Erkrankung ging: „Ich hatte Körperschmerzen, Husten und Kopfschmerzen und habe mich die meiste Zeit extrem müde gefühlt", so Melania. Sie habe daher einen „natürlicheren Weg" gewählt und sich „mehr für Vitamine und gesundes Essen" entschieden. „Ich hatte großes Glück, dass meine Diagnose mit minimalen Symptomen einherging, obwohl sie mich alle auf einmal trafen und es in den Tagen danach eine Achterbahn der Symptome war", so die 50-Jährige. Die First Lady verriet auch, dass ihr Sohn Barron am Virus erkrankt war, der 14-Jährige alles aber recht gut weggesteckt habe Er sei ein „starker Teenager", sagte die First Lady. | |
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Ich wünsche Ihnen ein Tag ohne Spießertum. Thomas Vitzthum Redakteur Politik | |
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MEINE WELTPLUS-EMPFEHLUNGEN FÜR SIE |
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CORONA-BESCHLÜSSE DEN LOCKDOWN SELBST VERORDNEN? Die Kanzlerin sieht „Unheil" aufziehen – wird sie Recht behalten? Zum Artikel | |
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TÖDLICHES RENNEN DER TOD KAM IM LAMBORGHINI Drei Männer liefern sich ein Wettrennen auf der A66. Dann verliert einer die Kontrolle über seinen Wagen. Eine unbeteiligte Frau stirbt. Zum Artikel | |
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GRIPPE-IMPFUNG WARUM JENS SPAHN ZURÜCKRUDERT Hat sich der Gesundheitsminister bei seiner Grippe-Empfehlung verkalkuliert? Zum Artikel | |
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