| Guten Morgen, wir beginnen den Tag heute nicht wie alle anderen Medien mit der uneidlichen Falschaussage der Bundeskanzlerin („Das ist einzig und allein mein Fehler“), sondern mit dem derzeitigen MPK-Mann an ihrer Seite, dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller – seine Videobotschaft ans Berliner Volk zur gestörten „Osterruhe“, veröffentlicht gestern Abend um 18:11 Uhr, beginnt mit einer Vermutung: „Liebe Berlinerinnen und Berliner, wahrscheinlich haben Sie in den letzten Tagen interessiert und vielleicht auch mit Kopfschütteln die einen oder anderen Beschlüsse der Politik wahrgenommen und sich dazu eine Meinung gebildet.“ Nun, das ist stark untertrieben – zu den häufigsten Nebenwirkungen der Corona-Politik gehört inzwischen definitiv das Schleudertrauma. Noch am Dienstagmittag, nach einer offenbar transzendenten Nachtsitzung mit Merkel, hatte Müller erklärt: „Es ist richtig, jetzt noch einmal Zeit zu gewinnen und zu den drei Ruhetagen noch zwei hinzuzufügen, sodass wir über einen längeren Zeitraum Infektionsketten durchbrechen können.“ Da begannen die Leute damit, ihre Dosenvorräte zu überprüfen und sich zu wundern: Wäre es nicht sinnvoller, die Lebensmittelgeschäfte 24/7 zu öffnen, um die Kundschaft besser zu verteilen, anstatt kurz vor und kurz nach Ostern Superspreadermärkte aus ihnen zu machen? Und so sprach der Regierende Bürgermeister kaum 30 Stunden später als Merkel-Echo: „Es ist ein Fehler gewesen, nicht sich rechtzeitig damit auseinanderzusetzen, was diese Entscheidung an Einschnitten für Sie, für die Berlinerinnen und Berliner, und alle anderen Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, bedeuten kann.“ Aus dem „Paradigmenwechsel“ (Müller am Dienstag) wurde so „fast ein Paradigmenwechsel“ (Merkel am Mittwoch). Aber das allein („ein Fehler“) konnte so natürlich nicht stehen bleiben, und so fuhr Michael Müller in seiner kurzen Ansprache gestern Abend fort: „Insofern ist es richtig, auch so eine Entscheidung, wenn sie auf Widerstand stößt, zu korrigieren.“ Ach, der Widerstand war also schuld, einer muss es ja sein – Merkel hatte die Verantwortung ja auch nicht persönlich übernommen, sondern gesagt: „Qua Amt ist das so.“ Doch wirklich erschütternd war nicht mal die Entscheidung an sich, sondern die Begründung ihrer Revision: Ein Jahr nach dem Beginn der Pandemie, mit der Erfahrung dutzender Krisensitzungen und zahlloser Verordnungen, die binnen Stunden in Kraft traten, und vor dem Hintergrund von Milliardenhilfen, gab es diesmal, mit der Perspektive einer vollen Woche vor dem Tag X, „zu viele Fragen“, so Merkel – u.a. die nach „der Lohnfortzahlung durch die ausgefallenen Arbeitsstunden“. Darauf sollte so ein Virus schon Rücksicht nehmen. Oder, in der Erkenntnis des Regierenden Bürgermeisters: „Dass wir offensichtlich nicht alle Folgen bedacht haben.“ Nicht alle Folgen… Das allerdings hat in so einer Situation auch niemand erwartet. Viel schlimmer als eine falsche Entscheidung ist die Erosion des Vertrauens. Bisher herrschte der Eindruck vor, die Politik wolle ihr Handeln nur nicht richtig erklären – weil alles zu schnell geht, zu kompliziert ist oder die Zeit dafür fehlt. Appelle wie der des Regierenden Bürgermeisters, auch gestern wieder („Ich bitte Sie auch weiterhin um Ihre Unterstützung“), mussten reichen. Doch jetzt wird klar: Die Politik kann ihr Handeln gar nicht erklären – weil sie es schon am nächsten Tag selbst nicht versteht. Und sie kann es nicht einmal nachvollziehen: Nach Auskunft der Senatskanzlei, die Berlin als derzeitiges Vorsitzland vertritt, werden keine Verlaufsprotokolle der Konferenzen verfasst. (Q: „Frage den Staat“). Quintessenz: Die Krise, die wir erleben, ist nicht mehr nur eine biologische, sondern auch eine administrative – die Institutionen geraten an ihre Grenzen. | |