Liebe Leserin, Lieber Leser,
der Satz von Jens Spahn vom April 2020, „Wir werden in ein paar Monaten einander viel verzeihen müssen“, war vielleicht der treffendste der ganzen Pandemie. Statt Monaten sind allerdings Jahre vergangen, und Corona ist längst nicht überall verziehen. Die Lebenserwartung ist zwar erstmals seit der Pandemie gestiegen (Frauen 83,3 und Männer 78,6 Jahre). Umfragen belegen auch, dass eine Mehrheit die Einschränkungen von damals für richtig hält. 40 Prozent der Menschen finden jedoch, die Politik sei zu weit gegangen.
Darunter sind jene, die beispielsweise nicht verwunden haben, dass Polizisten sie mal von der Parkbank verscheucht haben. Hier wäre der Rat: abhaken. Doch was ist mit dem Pärchen, das 400 Euro Bußgeld zahlen musste, weil es sei Eis nur dreißig und nicht fünfzig Meter von der Eisdiele entfernt konsumiert hat? Den Selbständigen, die ihre wirtschaftliche Existenz verloren haben, weil ein Quadratmeter Ladenfläche fürs Hygienekonzept fehlte? Familien, die nicht zu ihren sterbenden Angehörigen ins Pflegeheim durften? Noch komplizierter sind Einzelfälle, bei denen die Meinungen erst recht auseinander gehen. Soldaten, zum Beispiel, die sich nicht impfen lassen wollten und deshalb entlassen und verurteilt wurden. „Haben Sie gedacht, Sie können die Bundesrepublik im Homeoffice verteidigen?“, wurde einer vor Gericht gefragt. Es mag nicht viele dieser Verfahren geben, aber sie sind hochemotional. |