Heribert Prantl beleuchtet ein Thema, das Politik und Gesellschaft (nicht nur) in dieser Woche beschäftigt.
 ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ 
szmtagiomb_np
Zur optimalen Darstellung empfehlen wir Ihnen die Browserversion
11. Februar 2024
Prantls Blick
Die politische Wochenschau
Prof. Dr. Heribert Prantl
Kolumnist und Autor
SZ Mail
Guten Tag,
es ist Faschingssonntag. Aber das Thema, von dem ich hier schreibe, diese Aktion, die die demokratischen Parteien beschlossen haben, ist keine Gaudi und überhaupt nicht zum Lachen. Die Aktion ist gefährlich: Asylbewerber sollen künftig schon im Alltag als Asylbewerber erkennbar sein. Dies ist unter anderem das Ziel der Aktion Bezahlkarte. Flüchtlinge sollen künftig (bis auf ein kleines Taschengeld, in Bayern 50 Euro im Monat) kein Bargeld mehr bekommen, sondern mit einer Chipkarte einkaufen gehen. Das wird keine Art EC-Karte mit Limit sein, sondern eine Chip-Karte, die örtlich und sachlich nur sehr beschränkt einsetzbar ist – also nicht an jedem Ort, nicht in jedem Geschäft und nicht für alle Waren. Da wird es deshalb Unklarheiten an vielen Kassen geben. Der Unmut beim Stau an der Kasse, die mitleidigen bis missbilligenden Blicke – sie gehören zum Abschreckungsprinzip, das das tragende Prinzip der Chip-Bezahlkarte ist. Es werden Karten sein, bei deren Einsatz man schnell auffällt. Mit ihrer deutschlandweiten Einführung schafft man Fremdenfeindlichkeit. In der Karte steckt mehr als ein Geldbetrag. In ihr steckt die Botschaft: „Seht her, die können nicht mit Geld umgehen, die sind anders, die gehören hier nicht her.“ Die demokratischen Parteien, die die Einführung dieser Bezahlkarte beschlossen haben, reagieren auf fremdenfeindliche Stimmungen mit fremdenfeindlichen Praktiken.

Kamellen von gestern

Bei den Chip-Bezahlkarten handelt es sich im Übrigen um Kamellen von gestern. Vor über dreißig Jahren, in der Zeit, als das Asylgrundrecht geändert und von Flüchtlingen nur noch im Katastrophenjargon geredet wurde, in der Zeit also, als Deutschland leicht entflammbar war, gab es Einkaufs-Gutscheine für Flüchtlinge: Sie waren keine Gutscheine, sondern Bösscheine und wurden wegen Unpraktikabilität wieder abgeschafft. Die Chip-Bezahlkarte ist nun ein Update.

Die Städte und Gemeinden sollen, so ist es geplant, selbst entscheiden, ob und wie sie die Chipkarte einführen. Das klingt positiv, das klingt nach kommunaler Gestaltungsfreiheit. Viele Amts- und Referatsleiter in den Kommunen, also die Praktikerinnen und Praktiker des Asyl- und Ausländerrechts, werden versuchen, ihren Bürgermeistern die Chip-Bezahlkarte auszureden – weil ihnen klar ist, dass das Ganze nur mehr Arbeit macht, Geld kostet und Konflikte mit sich bringt.

Die Kommunen müssen aber entscheiden, so oder so. Das heißt: Die Diskussion über die Leistungen für Flüchtlinge laufen jetzt nicht mehr nur auf Bundes- und Landesebene. Man hat sie künftig auch in jeder Kommune, man hat sie dort im Stadtrat und in der Öffentlichkeit – zur Freude der AfD, die sich nichts mehr wünschen kann als möglichst oft das Migrationsthema zu orchestrieren. So wirkt man dem Fremdenhass nicht entgegen, man reproduziert und multipliziert ihn. Das ist gefährliches Politiktheater.
SZPlus Prantl Blick
Bezahlkarten für Flüchtlinge sind eine Narretei
Zum Artikel Pfeil
In dieser Woche beginnt die Fastenzeit. Es wäre gut, wenn auch beim Politiktheater gefastet und auf Entschlossenheitsposen verzichtet würde. Das wäre eine gute Vorbereitungszeit auf Ostern. Die wünsche ich uns.
Ihr 
Heribert Prantl
Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung
SZ Mail
Folgen Sie mir.
ANZEIGE
desktop timertrk_px
Prantls Leseempfehlungen
Befriedender Dialog
Wie soll Frieden werden im Nahen Osten, wie soll Frieden werden in der Ukraine? Es geht nicht ohne das Gespräch. Darauf beharren all diejenigen die festgehalten haben und festhalten am Dialog, auch da, wo er kaum mehr möglich scheint: Da sind die Vereine und Städte, die Partnerschaften mit Russland weiterführen. Da sind Schriftsteller aus verfeindeten Völkern, die miteinander korrespondieren – wie das einst Romain Rolland und Stefan Zweig im Ersten Weltkrieg taten. Da sind israelisch-palästinensische Friedensprojekte, die weitermachen mit ihrer Arbeit.

Exemplarisch für diesen befriedenden Dialog ist die Korrespondenz zwischen dem Orientalisten und muslimischen Deutsch-Iraner Navid Kermani und dem Soziologen und jüdischen Israeli Natan Sznaider. In ihrem Büchlein, das sie im Oktober 2023 publizierten, stellen sie fest: „Wir erinnerten uns an die wirklichkeitsschaffende Kraft der Gewalt, die nur noch Schmerz und Trauer hinterlässt, aber auch daran – und das war das Wichtigste vielleicht für uns (...) -, dass man selbst in der Sprachlosigkeit noch sprechen kann, und sei es ohne Worte. Sei es nur, dass man den anderen atmen hört.“ Die Frage lautet, ob und wie und wann aus dem Atmen ein Aufatmen werden kann. Davon handelt der Schriftwechsel zwischen Kermani und Sznaider, den sie nach ihrer ersten Begegnung 2002 in Haifa geführt hatten. 21 Jahre später, so hoffen die beiden Autoren, hilft ihre Korrespondenz, um die schreckliche Gegenwart im Nahen Osten besser zu verstehen.   

Navid Kermani/Natan Sznaider: Israel. Eine Korrespondenz. Das Büchlein ist, mittlerweile in der zweiten Auflage, im Herbst 2023 im Hanser Verlag erschienen. Es hat 63 Seiten und kostet 10 Euro.
Zum Buch Pfeil
SZPlus
Sterben, erben, verderben
In den Verfassungen steht, wie es sein soll. So zum Beispiel: „Die Erbschaftssteuer dient auch dem Zwecke, die Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen einzelner zu verhindern.“ So lautet der Artikel 123 Absatz 3 der Bayerischen Verfassung. Die Wirklichkeit sieht anders aus, in Österreich gleich gar. Dort wird seit 2008 überhaupt keine Erbschaftssteuer mehr erhoben. Die deutsch-österreichische BASF-Erbin Marlene Engelhorn, 32 Jahre alt, hätte gerne solche Steuern auf ihr ererbtes Vermögen bezahlt. Weil das nicht geht, versucht sie, die Rückverteilung ihres Erbes mittels eines Bürgerrats „demokratisch und transparent“ zu organisieren. Wie das funktioniert und warum sie das macht, das erklärt sie im Interview mit dem Kollegen Caspar Busse in der Wochenend-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung: „Es ist doch nicht gottgegeben, dass wenige viel bekommen.“ Erben hält sie für ungerecht. Und Vermögen will sie höher besteuert wissen. In Deutschland wird eine Vermögensteuer seit 1997 nicht mehr erhoben.
Zum Artikel Pfeil
ANZEIGE
desktop timertrk_px
Meinung
Kommentare, Kolumnen, Gastbeiträge und Leserdiskussionen im Überblick
Zu den Meinungs-Artikeln
Empfehlung Empfehlen Sie diesen Newsletter weiter
Kontakt Schreiben Sie uns, falls Sie Anregungen haben
Zur Startseite von SZ.de

Zur Übersichtsseite der SZ-Newsletter
Ihre Newsletter verwalten

Entdecken Sie unsere Apps:
as
gp
Folgen Sie uns hier:
tw
ig
fb
in
Impressum: Süddeutsche Zeitung GmbH, Hultschiner Straße 8, 81677 München
Tel.: +49 89 2183-0, Fax: +49 89 2183 9777
Registergericht: AG München HRB 73315
Ust-Ident-Nr.: DE 811158310
Geschäftsführer: Dr. Karl Ulrich, Dr. Christian Wegner
Copyright © Süddeutsche Zeitung GmbH / Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH.
Hinweise zum Copyright
Sie erhalten den Newsletter an die E-Mail-Adresse [email protected].
Wenn Sie den „Prantls Blick“-Newsletter nicht mehr erhalten möchten, können Sie sich hier abmelden.
Datenschutz | Kontakt