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Tagesspiegel Checkpoint vom Montag, 13.02.2023 | dichte Bewölkung bei Temperaturen zwischen 3 und 7°C. | ||
+ CDU-Sieg nach mehr als 20 Jahren: Wegner macht Giffey das Rote Rathaus streitig + Schwere Niederlage: SPD kann keinen einzigen Bezirk für sich entscheiden + FDP fliegt aus dem Abgeordnetenhaus + |
von Lorenz Maroldt |
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So hat Berlin abgestimmt. | |||||
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Der Traum von Bettina Jarasch, einen grün-rot-roten Senat vom Roten Rathaus aus anzuführen, ist damit endgültig geplatzt. In ihrem eigenen Wahlkreis landete die Spitzenkandidatin noch hinter der AfD auf Platz 4, vier ihrer bisherigen Zweitstimmen-Hochburgen in Charlottenburg-Wilmersdorf, Pankow und Tempelhof-Schöneberg verloren die Grünen an die CDU, und von den 343.871 Wählerinnen und Wählern bei der vorherigen Wahl blieben diesmal nur noch 278.873 übrig (minus 64.998). Gewinner sehen anders aus. | |||||
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Aber für die SPD ist das in jeder Hinsicht ein B-Sieg: Bitter für Parteichef Raed Saleh, der seinen Spandauer Heimatwahlkreis an den wenig bekannten CDU-Kandidaten Ersin Nas verliert. Seine persönlichen Verluste im Vergleich zur Wahl von 2021 sind mit minus 6,3 Prozentpunkten höher als die seiner Partei (minus 4,5). Bitter für Franziska Giffey, die ihren Neuköllner Heimatwahlkreis an den wenig bekannten CDU-Bezirksverordneten Olaf Schenk verliert. Ihre persönlichen Verluste im Vergleich zur Wahl von 2021 sind mit minus 11,3 ebenfalls höher als die ihrer Partei (minus 9). Ausgerechnet im Direktwahlkampf gegen die SPD-Co-Chefin und Regierende Bürgermeisterin legt die CDU mehr als 17% zu (Erststimmen plus 17,5%, Zweitstimmen plus 17,2%). Brutal für die Partei, die in Berlin fast alles verliert. Die Christdemokraten haben 149.122 Stimmen mehr als die SPD. In keinem der 12 Bezirke liegt die SPD vorne. Von 78 Wahlkreisen in der Stadt konnten die Sozialdemokraten gerade mal 4 gewinnen (AfD 2, Linke 4, Grüne 20, CDU 48). Nie zuvor bei einer Wahl in Berlin seit 1945 schnitt die Partei schlechter ab. Franziska Giffey erklärt das so: „Wir haben nicht genug Zeit gehabt, um Dinge zu ändern.“ Die SPD sitzt seit 1989 ununterbrochen im Senat, seit 2001 führt sie ihn an. Ein weiterer Führungsanspruch lässt sich daraus wohl kaum ableiten. | |||||
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Die Spitze der Linken, kleinste Partei der Koalition, war erleichtert, nur 1,9 Prozentpunkte verloren zu haben. Es hätte schlimmer kommen können – nicht wegen ihrer Politik für Berlin (die Arbeit der Senatsmitglieder Katja Kipping und Klaus Lederer wird überwiegend gut bewertet), sondern wegen der außenpolitischen Irrlichterei des linken Flügels. Doch auch ihr Spitzenkandidat Lederer verpasste ein Direktmandat: Beim vergangenen Mal war er noch ganz knapp unterlegen, diesmal verlor er deutlicher mit 3,2 Prozentpunkten Rückstand. | |||||
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Rechnerisch würde es zwar reichen für eine Fortsetzung der rot-grün-roten Koalition (56% der Sitze im Parlament). Politisch aber hat es zu vielen Menschen auch jetzt schon gereicht mit diesem Senat: „Berlin ärgert sich schwarz“, titelt die „taz“ – die CDU als erfolgreiche Protestpartei, wer hätte das jemals gedacht. Rot-Grün-Rot – das wäre die Koalition der gedemütigten und frustrierten Wahlverlierer. Rechnerisch reicht es auch für Schwarz-Rot und Schwarz-Grün (je 54% der Sitze). Kai Wegner will mit beiden sprechen, allen Differenzen zum Trotz. Sein größtes Problem mit der SPD: persönlich bedingt – mit Saleh kann er gar nicht, und Saleh nicht mit ihm. Sein größtes Problem mit den Grünen: politisch bedingt – mit deren Verkehrs-, Wohnungs- und Sicherheitspolitik kann er gar nicht, und die nicht mit seiner. Für weitere Varianten fehlt die FDP – deren Scheitern die beiden Zweieroptionen wiederum überhaupt erst möglich macht. Und was nun? | |||||
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Die Wiederholungswahl sollte nach dem Willen des Landesverfassungsgerichts den „erheblichen Vertrauensverlust der Berliner Bürgerinnen und Bürger in demokratische Strukturen“ heilen. Andernfalls, so steht es im Urteil, „würde das Ansehen der Demokratie in Berlin dauerhaft und schwerwiegend beschädigt“, es drohe „die Instabilität der demokratischen Rechtsordnung“. Das Verhalten der Berliner Parteien nach der Pannenwahl, im Wahlkampf und jetzt nach der Wahlwiederholung gibt wenig Anlass zur Hoffnung, dass die Politik verstanden hat, was auf dem Spiel steht. Unerschüttert widmete sie sich leidenschaftlich der Sofortbefriedung vermeintlicher Erwartungen ihrer eigenen Klientel auf eine schon karikatureske Weise, die allerdings kaum mehr jemanden zum Lachen bringt. Im Gegenteil: So groß waren Ratlosigkeit und Unentschlossenheit bei der Wählerschaft in Berlin nie zuvor. So verfehlte die Wiederholungswahl das eigentliche Ziel: das Vertrauen in Institutionen, Strukturen und Politik dieser Stadt wiederherzustellen. Sichtbares Zeichen dafür ist die zurückhaltende Wahlbeteiligung. Die Erkenntnisse von Meinungsforschern belegen den Befund. In Scharen wenden die Menschen sich ab: von rechtsstaatlichen Institutionen, von der Politik – und sogar von der Stadt. Wenn jede dritte Berlinerin, jeder dritte Berliner sich hier nicht mehr wohlfühlt, ist das ein Alarmsignal. Berlin befindet sich also in einer Ausnahmesituation. Die Stadt braucht einen mentalen und organisatorischen Neustart. Dazu bedarf es vor allem einer großen Verwaltungsreform. Nur so kann die organisierte Unzuständigkeit, das Grundübel Berlins, endlich beendet werden. Aber wegen der verkürzten Legislaturperiode, eine Folge der selbstverschuldeten Wahlwiederholung, fehlt dafür die Zeit; und einem Senat, der nur getragen wird von einer knappen Mehrheit, fehlt dafür die Kraft. Was daraus folgt, ist offensichtlich: Berlin braucht jetzt eine Koalition, die erstens über eine verfassungsverändernde Zweidrittel-Mehrheit verfügt und die zweitens die Spaltung der Stadt nicht nur beschreibt und beklagt oder gar für die eigenen Zwecke missbraucht, sondern sie ernst nimmt und zu überwinden versucht. Es muss jetzt darum gehen, einmal mit Herz und Verstand auf breiter parteipolitischer und gesellschaftlicher Basis die Grundlage zu schaffen für alles Weitere. Eine solche Koalition wäre von Beginn an ein Bündnis auf Zeit, mit einer klaren Priorität, der sich alles andere für die nächsten 36 Monate unterordnet. Zu einer gesunden Demokratie gehört der Wechsel, aber auch die Opposition. Eine Regierung, die mehr Parteien vereint, als sie für die einfache Mehrheit braucht, muss eine Ausnahme bleiben. Diese hier würde gegründet, um eine Ausnahmesituation zu beenden. Dafür braucht es Menschen in der Politik, denen die Zukunft ihrer Stadt wichtiger ist als der Fortschritt der eigenen Karriere; deren Horizont nicht beim nächsten Wahltermin endet; die zwischen Groß und Klein unterscheiden können; deren Anspruch sich nicht darin erschöpft, ein Parteiprogramm abzuarbeiten; die Berlin von innen und außen denken; die mehr mitbringen als nur ein Gefühl; die sich nicht mit Symbolen zufriedengeben. Eine solche Koalition könnte auf Zeit auch die Doppel- und Dreifachzuständigkeiten im Senat für die großen Verwaltungen trennen, um eine konzentriertere Arbeit sicherzustellen. Sie müsste mehr auf Expertise als auf Parteiverdienste setzen, auch bei der Besetzung der Staatssekretärsebene. „Berlin ist anders“, lautet das politische Leitbild der Stadt. Eine solche ganz große Koalition aus CDU, SPD und Grünen wäre tatsächlich anders. Aber sie könnte in dieser verfahrenen Situation etwas Historisches schaffen: dass die einen wieder stolz auf diese Stadt schauen und die anderen staunend. | |||||
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Was uns sonst noch auffiel: + Es gibt in jedem (!) Wahlkreis weniger ungültige Stimmen als 2021. + Gegen 23 Uhr lag die BVV-Wahlbeteiligung in Tempelhof-Schöneberg kurzfristig bei insgesamt 220 Prozent – der Grund: Im Wahlkreis Tempelhof-Schöneberg 5 war eine BVV-Wahlbeteiligung von 1178,6% gemeldet worden. Das ist deutlich mehr als 2021 (der Fehler wurde schnell behoben). + Die Beteiligung an der Abgeordnetenhauswahl lag bei 63,1 Prozent – das ist besser als befürchtet, aber schlechter als 2016 (66,9%, ohne parallele Bundestagswahl) und als 2021 (75,3%, parallel zur Bundestagswahl). + Größere Pannen gab es keine – mit großem Einsatz von Mensch und Material hat Landeswahlleiter Stephan Bröchler, der „König ohne Land“ (Eigenbeschreibung), die „Herkulesaufgabe“ (Selbsteinschätzung) gewuppt. Ein „Fest der Demokratie“ (Erwartungshaltung) war es dennoch nicht, kommentiert hier Ann-Kathrin Hipp. + Marzahn-Hellersdorf 1 ist ein Ausnahmewahlkreis: niedrigste Beteiligung (44,4%), höchster AfD-Zugewinn (plus 6,3 Prozentpunkte auf 28%), niedrigstes Grünen-Ergebnis (3,5%). + Die Linke verliert in den Ostbezirken ausnahmslos stärker als in den Westbezirken. Die AfD gewinnt in Ostbezirken konsequent stärker hinzu als in Westbezirken. + Auch der Friedrichstraßen-Wahlbezirk Mitte 2ging klar an die CDU – es ist der erste schwarze Fleck auf der ansonsten grün-roten Innenstadtkarte. + Die größte Partei unter den Kleinen (insgesamt 9%) ist die Tierschutzpartei (2,4%), gefolgt von „Die Partei“ (1,4%) und Volt (0,9%). Es kommentiert Checkpoint-Pomeranian Beverly: „Wuff!“ + Bei den BVV-Wahlen haben sich in fast allen Bezirken die politischen Mehrheitsverhältnisse verändert, teils auch dramatisch (z.B. Pankow, ChaWi, Neukölln). Unmittelbare politische Konsequenzen gibt es nicht: Stadträte und Bezirksbürgermeister wurden mit den alten Mehrheiten zu Beamten auf Zeit gewählt. Dennoch muss ihnen jetzt jemand sagen, dass ihre Amtszeit aus demokratiehygienischen Gründen bereits abgelaufen ist – am besten aus der jeweils eigenen Partei. Zu tun gibt’s auch so mehr als genug: Im Bürgeramt sind noch ein paar Schichten zu besetzen. | |||||
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Wenn Sie wissen wollen, wie ihr Nachbar gewählt hat – das steht hier auf den interaktiven Wahlkarten unseres Innovation Labs. Alle weiteren Zahlen, Daten und Grafiken zu den AGH- und BVV-Wahlen finden Sie auf unseren Wahlseiten. | |||||
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Mit dem Ausgang der Wahl und den Folgen für Berlin beschäftigen wir uns heute auch in unserem Checkpoint-Podcast „Berliner & Pfannkuchen“. Die Sonderausgabe kommt am Nachmittag heraus, sie können sie überall dort hören, wo es Podcasts gibt – und natürlich auch hier auf unserer Website. | |||||
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Die Nacht über haben wir unser E-Paper immer wieder auf den neuesten Stand gebracht, die aktuelle Montagsausgabe mit allen Ergebnissen, Berichten, Analysen und Kommentaren steht unseren Abonnentinnen und Abonnenten seit 6 Uhr früh zum Download zur Verfügung. Falls Sie noch kein Abo haben: Hier können Sie unser E-Paper 30 Tage lang kostenlos testen. | |||||
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Alle Details über die Wahl in den Bezirken können sie heute vom frühen Nachmittag an kompakt und übersichtlich in unseren Sondernewslettern lesen – für jeden Bezirk gibt es einen eigenen. Sie können die Newsletter für alle Bezirke, die Sie interessieren, kostenlos hier bestellen. | |||||
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