Liebe Leserinnen, liebe Leser, es ist nicht besonders schwer, das sogenannte Friedens-Manifest von einigen wenigen prominenten und vielen weniger prominenten Sozialdemokraten zu verreißen: die Rache der alten Russland-Connection in der SPD, vier naive Seiten „Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt“. Nur eben nicht von Pippi Langstrumpf, sondern von Ralf Stegner. So in die Richtung etwa. Das Irritierende an dem Papier ist nicht das Unbehagen über Aufrüstung und der Wunsch nach Frieden. Sondern der unbeirrte Duktus der Russland-Freundlichkeit, man müsse halt mit Wladimir Putin reden, dann werde auch wieder alles gut. Jede Forderung, der Diplomatie endlich mehr Raum zu geben, ohne als allerallererstes die Tatsache anzuerkennen, dass Putin selbst offensichtlich kein Interesse an Frieden und Diplomatie hat, ist daher hohles Gerede. Auch wenn wir es uns anders wünschen, es ist Russland, das die Ukraine mit Drohnenangriffen und den Rest Europas mit Verachtung und düsteren Drohungen überzieht. Und deswegen ist es auch richtig, dass Deutschland und Europa sich wappnen – mindestens, um Putin oder wer ihm eines Tages nachfolgt, abzuschrecken. Aber in einem Punkt, das muss man zugeben, haben die friedensbewegten Genossen Recht: Man muss doch über die Aufrüstung sprechen dürfen. Muss man! Allerdings nicht, und da biegen sie auf ihrem Friedensmarsch durch die noch junge Regierungskoalition ziemlich rüde gleich wieder falsch ab, über das ob und das wie viel. Also nicht darüber, ob Deutschland überhaupt mehr Geld für Waffen ausgeben sollte, oder, wie die Manifest-Verfasser schreiben: „Wir halten es für irrational, eine am BIP orientierte Prozentzahl der Ausgaben für militärische Zwecke festzulegen.“ Nein, das ist nicht irrational, sondern hochgradig rational, seit vielen Jahrzehnten geübte Praxis und Grundvoraussetzung für eine Planung, die weiter reicht als der nächste SPD-Parteitag. Die 3,5 oder fünf Prozent der Wirtschaftsleistung für Rüstung und Sicherheit, die die Nato und damit auch Deutschland Ende des Monats auf dem Nato-Gipfel wohl beschließen werden, sind wahrscheinlich nicht übertrieben. Angesichts der Defizite, die Europas Armeen und allen voran die Bundeswehr über Jahrzehnte durch notorische Vernachlässigung aufgebaut haben und die sie nun in sehr kurzer Zeit wieder aufholen müssen, sind sie wohl angemessen. Aber über die Frage, wie diese Aufrüstung finanziert werden soll, darüber sollte diese Koalition tatsächlich noch mal diskutieren. Bisher sieht die Vereinbarung vor, dass alle Ausgaben für Rüstung und Sicherheit, die die Grenze von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) pro Jahr übersteigen, über neue Schulden finanziert werden können. Bei einem aktuellen BIP in Deutschland von rund 4300 Mrd. Euro im Jahr bedeutet das, etwa 43 Mrd. Euro sollten in diesem Jahr aus dem regulären Haushalt beglichen werden (und wenn es demnächst mit der Wirtschaft wieder etwas aufwärts geht, auch ein bisschen mehr) – der Rest über neue Schulden. So sieht es die beschlossene Ausnahme von der Schuldenbremse vor. Diese Änderung war richtig, um schnell handlungsfähig zu werden – denn ohne eine Reform der Schuldenbremse wäre Deutschland überhaupt nicht in der Lage gewesen, eine glaubwürdige Antwort auf Russlands fortgesetzten Krieg und Trumps absehbaren Rückzug aus Europa zu formulieren. Doch langfristig reicht diese Ausnahme von der Schuldenbremse nicht aus, im Gegenteil. Schulden sind nur dann langfristig tragfähig für ein Land, wenn sie entweder durch entsprechende Einnahmen (mindestens für den Schuldendienst) gedeckt sind oder wenn mit ihnen Vermögenswerte geschaffen werden, die mindestens über einige Jahrzehnte Bestand haben und dazu beitragen, den Wohlstand des Landes langfristig zu mehren. Das ist die grobe Idee und Begründung für das neue Sondervermögen über 500 Milliarden Euro für eine Modernisierung der Infrastruktur in Deutschland. Zwar gibt es auch hier Zweifel, ob wirklich alles Geld für neue und bessere Straßen und Schienen verwendet wird, aber: Das ist halt die Idee. Bei Rüstungsgütern ist das grundsätzlich anders. Auch wenn alle hoffen, dass diese nie gebraucht werden, nimmt ihr Wert doch recht schnell ab, weil die Technik veraltet – oder sie werden, wie im Falle der Munition und Waffen für die Ukraine, eben doch ver- oder zerschossen. Hier zu argumentieren, mit den vielen neuen Milliarden für Waffensysteme steige dauerhaft das Wachstumspotenzial und der Wohlstand in Deutschland, wäre mindestens gewagt (was nicht heißt, dass von höheren Rüstungsausgaben kein Wachstumsimpuls ausgehen kann. Das natürlich, aber nicht dauerhaft). Kurzum: Sehr viele neue Schulden für Panzer, neue Kriegsschiffe, Luftabwehrsysteme, Kampfflugzeuge und Drohnen mögen zwar wichtige Industriezweige im Land ankurbeln, eine tragfähige Finanzierung ist das aber nicht. Für ein, zwei oder drei Jahre mag der Weg über neue Schulden funktionieren. Doch eine zeitliche Begrenzung für die Ausnahme von der Schuldenbremse für Rüstungsausgaben gibt es nicht – hier muss diese Koalition noch etwas nachliefern. Denn drei bis vier Prozent vom BIP, die in den kommenden Jahren also nicht aus dem regulären Haushalt bestritten werden, sondern über neue Schulden, bedeuten 130 bis 180 Mrd. Euro zusätzlich auf Pump. Jedes Jahr, ohne zeitliche Begrenzung. In fünf Jahren wären wir also schon bei mindestens 650 Mrd. zusätzlichen Schulden, vielleicht auch bei 900. Bei einem durchschnittlichen Zins auf deutsche Staatsanleihen von um die drei Prozent macht dies bis zu 30 Milliarden zusätzliche Zinsausgaben pro Jahr. Und das alles noch ohne die Schulden für das Sondervermögen, die stehen wie gesagt auf einem anderen Blatt. Man muss nicht Ralf Stegner heißen, um daran Zweifel zu bekommen. Eigentlich müssten dies sogar als allererstes die Haushaltspolitiker von CDU und CSU in dieser Koalition tun, sie haben in den vergangenen Jahren schließlich zuverlässig und lautstark auf solide Staatsfinanzen gepocht. Doch die Alternativen zu immer neuen Schulden sind natürlich politisch unbequem, es gibt eigentlich auch nur zwei: Entweder die Koalition kompensiert die höheren Zinslasten durch niedrigere Ausgaben an anderer Stelle – will heißen: sie spart tatsächlich irgendwo im regulären Bundeshaushalt etwas ein. Danach sieht es bisher kaum aus – erst recht nicht, wenn man die zusätzlichen Ausgabenpläne im Koalitionsvertrag sieht. Oder sie verständigt sich doch auf Steuererhöhungen, um die höheren Rüstungsausgaben dauerhaft abzusichern – was vor allem die Union bisher ausschließt. Doch allein darauf zu hoffen, dass höheres Wachstum und höhere Steuereinnahmen die zusätzlichen Ausgaben im Bundeshaushalt auffangen, wäre im Falle der Militärausgaben naiv. Diese Lücke in der Finanzierung der (leider notwendigen) deutschen Aufrüstung ist das kleine schmutzige Geheimnis von Kanzler Friedrich Merz, dem bis vor kurzem noch obersten Wahrer solider Staatsfinanzen. Hier hätten SPD-Linke mal eine Aufgabe, ebenso SPD-Abgeordnete, die mit ihrem Parteichef noch eine Rechnung offen haben. Denn natürlich wäre es auch die Aufgabe von Lars Klingbeil als Finanzminister, diese Lücke nicht nur anzusprechen, sondern dafür auch Lösungen zu entwickeln. So oder so schlummert hier die eigentliche Diskussion über die Aufrüstung in Deutschland. |