Capital 12. Januar 2024 – Nr. 2
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Top-Thema: Benkos Vermögen: „Gläubiger und Finanzamt haben keinen Zugriff drauf“ (C+)
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Timo Pache
Chefredakteur
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
 

irgendwie hat man am Ende dieser Woche das Gefühl, dass man etwas falsch gemacht hat, wenn es einem gelungen ist, wie versprochen pünktlich seine Arbeit abzuliefern. Kurz hatte ich daher überlegt, ob ich mangels erfreulicher Nachrichten auch einfach streiken und diesen kleinen Gruß zum Jahresstart aus der Berliner Capital-Redaktion ausfallen lassen sollte.
 
Aber das erschien mir dann wiederum zu billig – zumal es ja schon eine interessante Entwicklung ist, dass immer mehr Berufsgruppen in diesem Land für ihre Anliegen mehr oder weniger spontan die Arbeit niederlegen und dazu noch möglichst viele unbeteiligte Menschen in Mithaftung nehmen wollen. An eine große Hauswand bei uns in der Nachbarschaft haben Chaoten nachts kürzlich groß und hässlich „GENERALSTREIK“ gepinselt. Ein bisschen traf das schon die Stimmung in dieser Woche.
 
Was von den Methoden der Landwirte, Spediteure, Lokführer oder niedergelassenen Ärzte zu halten ist, wie angemessen oder überzogen ihre jeweiligen Forderungen sind, ist in den vergangenen Tagen ausführlich analysiert worden – auch bei Capital. Hier verweise ich auf die Artikel der Kollegen, etwa das Interview mit dem Agrarökonomen Christian Henning über die wirtschaftliche Situation vieler Landwirte in diesen Wochen.
 
In der Zuspitzung der vielen Konflikte steckt allerdings ein Aspekt, der bislang eher selten in den Analysen auftaucht: Die Streiks kommen ja in diesen Wochen nicht von ungefähr, sondern der Unmut, der sich da in den Protesten und Aktionen entlädt, hat sich über lange Zeit aufgestaut – wahrscheinlich sogar über Jahre. Und sie sind wohl nur ein Vorgeschmack auf das, was noch kommt, wenn dieses Land es nicht bald schafft, seine Wohlstands- und Wachstumsmaschine wieder anzuwerfen.
 
Streiks sind Verteilungskämpfe, es geht immer darum, wer welchen Anteil von den erwirtschafteten Gewinnen erhält. Das liegt in ihrer Natur. Doch heikel und problematisch wird es eben dann, wenn über einen längeren Zeitraum nicht mehr viel dazukommt an Wohlstand und Gewinn in einer Branche oder in einer Volkswirtschaft. Wenn der berühmte Kuchen, der verteilt werden muss, womöglich sogar eher kleiner wird. Und genau da stehen wir gerade in Deutschland.
 
Die deutsche Wirtschaftsleistung wird bis Ende 2024 gegenüber dem Jahr 2019 – bereinigt um die Inflation in diesen fünf Jahren – nur geringfügig gestiegen sein. Wenn überhaupt. Die Rezession im ersten Pandemie-Jahr 2020 um gut 5 Prozent machten die Jahre 2021 und 2022 zwar fast wett – doch seither stagniert die Wirtschaft oder schrumpft sogar wieder. Auch 2024 dürfte nach 2023 ein weiteres Jahr des Rückgangs werden, eher jedenfalls als ein Jahr der Wende zum Besseren und des zaghaften Aufschwungs, den viele Experten und die Bundesregierung noch im Herbst vorhergesagt hatten.
 
Das relativiert auch die Aussagen mancher konservativer und liberaler Haushaltspolitiker aus den vergangenen Wochen, der Staat nehme doch so viel Geld ein wie nie – er müsse halt mal damit auskommen. Tatsächlich erwarten Bund, Länder und Kommunen in diesem Jahr rund 925 Mrd. Euro an Steuereinnahmen. Das ist wirklich viel, 2019 waren es noch gut 800 Mrd. Euro. Aber die Steuereinnahmen sind eben nominale Größen – die 125 Mrd. Euro zusätzlich sind allein ein Verdienst der Inflation (und er verpufft locker wieder bei den Ausgaben dank der gestiegenen Preise). 
 
Zwar kommt die Inflation nun deutlich runter, das ist gut, doch was fehlt ist der Aufschwung – oder wenigstens die Aussicht darauf. Dies zeigt etwa der Geschäftsklimaindex des Münchner Ifo-Instituts, der im Dezember erneut gefallen ist. Oder die Lage in der Bauindustrie, in der nun genau das passiert, wovor vor wenigen Monaten noch alle gewarnt haben: Bauunternehmen gehen reihenweise pleite und werden vom Markt verschwinden – womit sich der akute Einbruch in eine langfristige Strukturschwäche auswachsen würde. Oder bei den für die langfristigen Investitionen so wichtigen Anlagen- und Maschinenbauern: 15 Prozent weniger Aufträge im November im Vergleich zum Vorjahr aus dem Inland, 13 Prozent minus bei den Auslandsaufträgen.
 
Der einzige Weg, um die Verteilungskämpfe zu befrieden, ist mehr Wachstum. Von all den Bestseller-Büchern, die gerade Schrumpfen und Degrowth als Dienst an Menschheit und Umwelt predigen, lässt sich sicher eine schöne Altbauwohnung in Berlin heizen, sie besänftigen aber keinen Lokführer, keinen Landwirt, keinen LKW-Fahrer und auch keine Krankenschwester.
 
Ohne echtes Wachstum bleibt in realen Preisen immer weniger, was es zu verteilen gibt. Das gilt für den Staat und seine Ausgaben ebenso wie für Unternehmen. Vier Jahre Rezession, Stagnation und hohe Inflation haben vielen Arbeitnehmern und vielen Unternehmern schneller jede Zuversicht und jedes Zutrauen in die Zukunft genommen als viele das für möglich gehalten haben. Man mag das für übertrieben halten, aber umso wichtiger wäre es, in dieser angespannten Lage ein klares Signal für Wachstum und Zuversicht zu setzen.
 
Nötig wären dafür zwei Dinge. Erstens: ein Plan, der Ideologien überwindet und das ritualisierte Hin und Her zwischen Strukturreformen versus mehr Schulden überwindet. Deutschland braucht beides: Anreize und Reformen auf der Angebotsseite für mehr Arbeitsplätze und mehr Investitionen – etwa attraktivere Abschreibungsregeln – plus einen Staat, der die finanziellen Möglichkeiten nutzt, die er hat, statt sich selbst durch absurde Regeln auszubremsen.
 
Und zweitens: einen parteiübergreifenden Konsens, der diesen Plan durch Bundestag und Bundesrat bringt und dafür sorgt, dass er nicht in aufgepeitschten Wahlkämpfen zerrieben wird. Zwei Jahre sind es noch bis zur nächsten regulären Bundestagswahl, und vieles spricht dafür, dass die nächste Regierungsbildung schwieriger wird als die letzte. Daher: 2024 hat gerade erst angefangen, noch ist Zeit genug, um dieses Jahr zu nutzen.
 
Ich wünsche Ihnen ein glückliches und erfolgreiches neues Jahr – und nun ein schönes Wochenende! 

Herzlich, Ihr

Timo Pache
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Die neue Capital
 

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