Kurt Kister gibt Einblick in deutsche Alltagsmomente
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7. Februar 2025
Deutscher Alltag
Guten Tag,
als ich noch eine sogenannte verantwortliche Tätigkeit ausübte, habe ich meinem damaligen Kompagnon immer wieder mal geraten: „Bleiben Sie ruhig.“ Wenn es möglich war, berührte ich auch bei der einen oder anderen Konferenz sanft mit meinem Fuß sein Schienbein, um ihm zu signalisieren, dass es besser sei, die Schärfe seiner Worte und die Entschiedenheit seiner Gesten etwas zu mildern. Ich bin charakterlich nicht unbedingt ein Appeaser. Konflikte suche ich nicht, aber wenn sie mich finden, trage ich sie aus. Allerdings: Was man an Härte dabei zu ostentativ oder zu früh zeigt, kann schon allein wegen des äußeren Anscheins eine mögliche Einigung verhindern. Mein Kompagnon neigte dazu, im Angesicht von Widerständen aufzubrausen – zumal wenn er die Widerstände für unvernünftig hielt oder die, noch schlimmer, von Unvernünftigen ausgingen. Weil der harsche Umgang mit Unvernünftigen oft dazu führt, dass sie noch unvernünftiger werden, dass sich, siehe Friedrich Merz, die Fronten verhärten, ist es manchmal klüger, selbst vernünftig, leise und kühl-freundlich zu bleiben.

Nun ist aber mein damaliger Kompagnon einer jener Menschen, von denen man, zumindest in Amerika, sagt, he doesn’t suffer fools gladly, er nimmt Narren oder närrisches Verhalten nicht fröhlich hin. Der Spruch kommt, wie so viele andere Weisheiten, aus der Bibel. Im zweiten Brief an die Korinther hält Paulus seine „Narrenrede“, in der er sich mit Narren und dem Narrentum als solchem beschäftigt. Da heißt es unter anderem: „Ihr lasst euch die Narren ja gern gefallen, ihr klugen Leute.“ Er spielt darauf an, dass die Narren bei Widerstand umso närrischer werden. Wenn man die Narren kennt, weiß man, wann man sich zurückhalten sollte, um vieles von dem zu erreichen, was man erreichen will. Manchmal aber ist Zurückhaltung zwecklos, weil die Narretei zu groß ist.

Zweifelsohne leben wir in närrischen Zeiten. Der Beispiele gibt es viele, so viele, dass der eine oder andere von „Zukunftslosigkeit“ redet. Das ist natürlich auch Unsinn, weil selbst eine schlechte Zukunft eine Zukunft ist, und außerdem die Existenz der Gegenwart bedeutet, dass es immer auch Zukunft geben wird. Die Gegenwart bietet die Möglichkeit, die Zukunft zu beeinflussen, sodass nur jene Zukunftslosigkeit beklagen, die in der Gegenwart schon resigniert haben. Dauerndes Klagen und Resignation können als self-fulfilling prophecy wirken. Wer das meiste schlecht findet und mit freudiger Abscheu die Fehler der in seiner Wahrnehmung immer mehr werdenden Narren aufzählt, gerät bald in eine Blase, in der Wohlmeinende keine Schienbeine mehr finden, gegen die sie zum Zwecke der Mäßigung treten könnten. Dazu gehört auch die arrogante Grundeinstellung, die sich in Sätzen äußert wie: „Wir werden von Idioten regiert.“ Diese Haltung ist keineswegs ein Privileg der AfD und ihrer Sympathisanten.

Zu den großen Narreteien der vergangenen Tage gehört die Vorstellung des US-Präsidenten, dass der Gazastreifen unter amerikanischer Hoheit und ohne Palästinenser zur „Riviera des Nahen Ostens“ werden solle. Eigentlich ist darüber schon genug geschrieben und kommentiert worden. Aber es passt hierher, weil es so etwas ist wie jener Widerspruch, der die Regel bestätigt. Die Regel, siehe oben, lautet: Wir werden nicht von Idioten regiert, sondern von Leuten, die auf die eine oder andere Weise jene repräsentieren, die sie auch wählen. (Der „Scherz“, dass die Wähler eben auch alle Idioten sind, ist zu billig.)

Trump aber ist ganz offenbar unzurechnungsfähig, denn sonst würde er nicht die Übernahme eines krisengeschüttelten Landstrichs durch die USA (auf welche Weise auch immer), die Vertreibung von zwei Millionen Menschen, die Einebnung der Gebäude und die anschließende Mar-a-Lagoisierung von Gaza als ernsthafte Lösung des Palästina-Israel-Konflikts vorschlagen. Auch weil diese Idee sich schon jetzt in andere seiner Annexionsideen (Grönland, Kanada) einreiht, bleibt eigentlich nur eine politische Bewertung, die zugleich eine Diagnose ist: Donald Trumps Beurteilungen weichen so weit von der Realität ab, dass dies auf eine Verwirrung seines Geistes hindeutet. Er kann nicht, wie es in Bob Dylans „Gates of Eden“ heißt, unterscheiden, what’s real and what is not. Vulgo: Er hat sie nicht mehr alle, was mit seinem Alter zusammenhängen kann, aber nicht muss.

Nun ist es außerordentlich heikel, mit so einem Mann umzugehen, der immerhin der Präsident der Vereinigten Staaten ist. Zwar sieht der 25. Zusatz zur US-Verfassung grundsätzlich vor, wie ein Präsident zu entfernen ist, der unable to discharge the powers and duties of his office ist, unfähig, die Rechte und Pflichten seines Amtes auszuüben. Diejenigen, die das offiziell feststellen könnten, der Vizepräsident und die Mehrheiten in Senat und Repräsentantenhaus, werden es nicht tun, weil sie glauben, dass es ungewöhnlich, aber nicht ballaballa ist, aus Gaza eine gated community mit Golfplätzen, Country Clubs und Badestränden zu machen.

Wie also Trump, dem Narren, begegnen? Man könnte es so tun, wie es Paulus den Korinthern vorwarf: „Denn ihr nehmt es hin, wenn euch jemand versklavt, ausbeutet und in seine Gewalt bringt, wenn jemand anmaßend auftritt und euch ins Gesicht schlägt.“ Oder man macht es so, wie es mein früherer Kompagnon gelegentlich tat: Man verhandelt, ohne allerdings substanzielle Zweifel gegenüber dem Narren daran zu lassen, dass man mit einem Narren verhandelt. Manchmal ist das richtig.
Kurt Kister
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