| | | | | 21. Februar 2025 | | Deutscher Alltag | | | |
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| | | | | wenn man an so einem Tag nicht über die Wahl schreibt, gerät man in den Verdacht, weltfremd zu sein. Wenn man aber doch über die Wahl nachdenkt, redet oder schreibt, tut man das, was alle anderen auch machen, vielleicht mit Ausnahme der wirklichen Fans von 1860 München, für die Hasan Ismaik so etwas ist wie Alice Weidel für die Linkspartei. Die Fans denken immer an 1860, ganz egal, was sonst noch passiert. Wahrscheinlich ist das in Berlin (Union) oder Hamburg (St. Pauli) auch nicht anders. Mir ist diese Geisteshaltung nicht völlig fremd, weil ich als Bub, so nennt man in Bayern männliche Kinder, mal damit begonnen hatte, 60er-Fan zu werden. Meine Oma schenkte mir 1965 die Platte âBin i Radi, bin i Königâ, die der damalige 60er-Torwart Petar Radenkovic besungen hatte. ( Für Jüngere: Das Radi-Lied gibt's natürlich auf Youtube. Im Vergleich zu Shirin Davids neuer Platte ist es groÃe Kunst.) Das Leben, Bob Dylan und Anni aus Röhrmoos haben mich dann vom FuÃball und 1860 nachhaltig entfremdet. Allerdings fiel die erste Bundestagswahl, an die ich mich richtig erinnere, noch in meine Radi-Zeit. 1969 trat die CDU mit dem Kanzler und Spitzenkandidaten Kurt Georg Kiesinger an, den meine Oma ein wenig sympathisch fand, weil er denselben Vornamen hatte wie ich, allerdings ohne Georg. Ich ging damals mit ihr wählen, das heiÃt, sie ging wählen und ich wartete drauÃen. âHast du jetzt den Kurt gewählt?â, fragte ich sie. Sie antwortete: âNaa, hob i net. Des is a Schwob (ein Schwabe). Und früher war er a Nazi.â Ich kann nicht beschwören, ob das wörtlich so gesagt wurde. Sinngemäà auf jeden Fall. Obwohl meine Oma in Lindenberg im Allgäu geboren wurde, mochte sie keine Schwaben. Und von den Nazis hatte sie auch weiland genug. Meine Oma gewann, Willy Brandt wurde Kanzler. 1972, da war ich 15, trug ich an meiner Jacke einen Button âWilly wählenâ. In der Schule, einem bayerischen Gymnasium, durfte ich den nicht zeigen. Das hätte, sagte der Direktor, die parteipolitische Neutralität der Schule infrage gestellt. Ob der Direktor in der CSU war, weià ich nicht mehr. Jedenfalls neigte an meinem Gymnasium damals nicht die Mehrzahl der Lehrer zur SPD. Nachdem Bundespräsident Gustav Heinemann nach einer von Brandt im Parlament absichtlich verlorenen Vertrauensfrage den Bundestag aufgelöst hatte, fand am 19. November 1972 die vorgezogene Wahl statt. Die Wahlbeteiligung lag bei 91 (!) Prozent, was damit zusammenhing, dass das Land ziemlich polarisiert war. (Nicht allen, die heute die starke Polarisierung des Landes beklagen, ist bewusst, dass es auch früher immer wieder scharfen, sehr scharfen Streit gab.) Brandt gewann, und die SPD erzielte 45,9 Prozent der Stimmen, was ungefähr so viel ist wie vermutlich Union und SPD am Sonntag zusammen zustande bringen werden. 1972 war übrigens das erste Mal, dass 18-Jährige wählen durften. Bei der Wahl 1976 war ich gerade bei der Bundeswehr. Hätte mir damals ein Kamerad gesagt, ein CSU-Minister würde später mal die Wehrpflicht abschaffen und ein CDU-Kanzleraspirant würde sie noch später wieder einführen wollen, hätte ich wohl den Spinner gemeinsam mit zwei Kameraden im Schlafsack unter die kalte Dusche geschleppt. Dem Soldatentum als solchem stand ich als Wehrpflichtiger eher abwartend-distanziert gegenüber. Dieser Tage sagte Robert Habeck, der 1989 Zivildienst machte, er würde heute wahrscheinlich, wenn es das so noch gäbe, zum Bund gehen. Wahrscheinlich hätten wir ihn auch erstmal im Schlafsack geduscht, was, ich gebe es sofort zu, den Prinzipien der Inneren Führung widersprochen hätte. Die erste Bundestagswahl, über die ich als Journalist schrieb, war die von 1987. Es trat Johannes Rau für die SPD gegen den Kanzler Helmut Kohl an. AuÃerdem gab es auch noch den CSU-Vorsitzenden Franz Josef StrauÃ, der irgendwie gegen alle anderen antrat, eigentlich auch gegen Kohl, von dem er annahm, er sei ihm intellektuell nicht gewachsen. Etwas Ãhnliches gab Strauà in diesem Wahlkampf auch mir gegenüber mal zum Ausdruck, indem er mich fragte, ob ich überhaupt verstünde, was ich ihn gerade gefragt hatte. Ich sagte, mutig wie ich als DreiÃigjähriger war, nein, hätte ich nicht, aber das würde auch nichts ausmachen, weil er es ja auch nicht verstanden hätte. Kohl gewann 1987 die Wahl deutlich, Johannes Rau wurde dafür 1999 Bundespräsident, was ohnehin besser zu ihm passte, als Kanzler zu sein. 1998 erlebte ich die letzte Wahlnacht der Bonner Republik. Als alles gelaufen war, feierte der damals 54-jährige Gerhard Schröder sehr ausgelassen in der niedersächsischen Landesvertretung in der Bonner Kurt-Schumacher-StraÃe. Oskar Lafontaine war nicht da, der zechte in der Landesvertretung des Saarlands in der Nachbarschaft. Die SPD hatte immerhin 40,9 Prozent erreicht, was auch daran lag, dass man nach 16 Jahren die Nase voll von Kohl hatte. Ich kam mir groÃartig vor, mittendrin. Und auÃerdem hatte Joschka Fischer, damals dünn und erst dreimal verheiratet, meiner Kollegin Christiane Schlötzer und mir vor der Wahl in einer Garage vor unserem Bonner Redaktionsbüro erklärt, warum er selbstverständlich AuÃenminister werden wolle und müsse. Und jetzt also wieder Wahl. Lebensalterlich gesehen meine 19. Bundestagswahl (bei der ersten war ich zwei Monate alt). Teilgenommen habe ich an jeder, seitdem ich durfte. Es kam nicht immer raus, was ich wollte. Aber wenn man nicht hingeht, ist die Gefahr noch gröÃer, dass nicht rauskommt, was man will. Bin i Wähler, bin i König. | |
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| | | | | | | | | | Was man beim Wählen beachten sollte | | Taktisch wählen mit Erst- und Zweitstimme â das geht heute so nicht mehr. Was sich mit dem neuen Wahlrecht ändert und wie Wähler das meiste aus ihrer Stimme herausholen können. | | | |
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