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Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Freitag, 13.08.2021 | Leicht bewölkt bei heißen 30°C. | ||
+ Heute vor 60 Jahren wurde die Berliner Mauer errichtet + Belarussische Aktivisten ziehen Hoffnung aus Berlins Geschichte + Tagesspiegel-Filmabend mit dem Fluchtfilm „Ballon“ + |
von Robert Ide |
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Guten Morgen, die Mauer bedeutete Leid und bestimmte über viele Leben. Zum Beispiel Winfried Freudenberg: Der 32 Jahre junge Elektriker füllt am 7. März 1989 in Blankenburg im nördlichen Berlin Gas in einen von ihm und seiner Frau genähten Ballon. Gerade erst hat SED-Machthaber Erich Honecker verkündet, die Mauer werde noch 100 Jahre stehen. Das voluminöse Fluggerät zur Flucht wird von einem Hilfskellner bei seinem nächtlichen Feierabend entdeckt, er ruft die DDR-Volkspolizei. Als die Funkstreife naht, ist noch nicht genug warme Luft im Ballon. Freudenberg und seine Frau bezweifeln, dass der Auftrieb sie beide trägt – überstürzt fliegt nur er allein los. Die Gondel aber wird zu leicht, schwebt in zu hohe Höhen. Stundenlang ist Freudenberg in seinem Ballon über der eingemauerten Freiheitsinsel West-Berlin gefangen. Als er doch noch Luft ablassen kann, stürzt er ab und prallt auf ein Villengrundstück in Zehlendorf. Winfried Freudenberg, dessen Frau im Osten verhaftet wird, ist sofort tot. Acht Monate später fällt die Mauer. An Freudenberg, das letzte von 140 Todesopfern in Berlin, erinnert eine Gedenkstele am Waldsee. Und das „Parlament der Bäume“ des kürzlich verstorbenen Aktionskünstlers Ben Wagin. | |||||
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28 Jahre lang blutete die Wunde aus Beton in Berlin, brachte die Mauer durch Deutschland Tod und Leid. Heute vor 60 Jahren wurde sie zunächst heimlich erbaut durch die DDR-Staatspartei SED. Der junge Journalist Adam Kellett-Long arbeitete damals als einziger Auslands-Korrespondent in Ost-Berlin, als er nachts einen mysteriösen Anruf bekam: „Gehen Sie nicht ins Bett“ (seine Erinnerungen hier). Inzwischen ist die Mauer länger gefallen, als sie stand. Verheilt ist die Wunde nicht. Denn die Schmerzen von gestern erzählen uns viel über die Grenzen des Heute (mein Leitartikel hier). Berlin, Schauplatz der einst geteilten Träume und Bürgersteige, ist der richtige Ort, um unser Leben von Morgen zu verhandeln. „Freiheit für Belarus“ steht auf einem Mauerstück am einst zerrissenen Potsdamer Platz. „Die Berliner Geschichte gibt uns Hoffnung“, erzählt Ann Shkor am Checkpoint-Telefon. Die Architektin aus Minsk lebt in Berlin, ihre Mutter sitzt in ihrer belarussischen Heimat fest, sie können sich nur in der Türkei treffen. „Unsere Situation ist ähnlich wie damals in Berlin: Viele Familien sind getrennt zwischen den Geflohenen und den Menschen zuhause“, erzählt Shkor. „Aber wir geben nicht auf. Wir sind nicht allein.“ In Berlin auf keinen Fall. | |||||
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Das Ungeheure geschah an einem Sonntag im August, „scheinbar ein Sonntag wie jeder andere. Ich drehe verschlafen meinen Kopf zur Seite und blicke auf den gleichmäßig atmenden Wolfgang. Ich will aufstehen, nach den Kindern sehen, Wolfgang murmelt träge, ich stelle das Radio an. Die Sonne scheint, dringt schwül in unsere kleine Wohnung. Doch auf einmal ist das alles egal, denn wir hören diese Stimme aus dem Radio und die letzten Worte lähmen unsere Gedanken, hallen in unseren Ohren: Friedliebende West-Berliner mit gültigem Personalausweis dürfen an folgenden Grenzübergängen die Grenze passieren … Gebannt sitzen wir im Bett, eng umschlungen, wartend. Schon kurz danach werden unsere schlimmsten Befürchtungen bestätigt: Für den einen Teil unserer Familie, der im Osten lebt, ist von nun an der Zugang in den Westteil der Stadt verwehrt.“ Helga Aue hat die Geschichte so erzählt, privat ihrer Enkelin Katja. Die hat sie aufgeschrieben für einen Tagesspiegel-Schülerwettbewerb: Kinder fragen ihre Großeltern nach dem Mauerbau. Später erzählte auch Helga noch einmal öffentlich von ihrer Liebe, die es so nur in Berlin geben konnte: Sie bleib im Osten. Und Wolfgang im Westen. Bis 1989 führten sie eine Fernbeziehung über die Mauer hinweg (die Geschichte aus unserem Archiv hier). Nach dem Mauerfall zogen sie zusammen. Grenzenlos verliebt. | |||||
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Und wo ist die Mauer heute? In der Stadt stehen noch ein paar Betonreste, die das räumliche und emotionale Ausmaß der Grenze nur erahnen lassen. Das Museum an der Bernauer Straße zeigt eindrucksvoll, was passiert, wenn man die Welt nur in Teilen begreift. Die kunstvoll gestaltete East Side Gallery in Friedrichshain (Fotospaziergang hier) hat den Kulturkampf um ihren Bestand gewonnen. In der Corona-Pandemie wird der Mauerradweg rund um das alte West-Berlin zum stark frequentierten Ausflugspfad der Erinnerung (Rundfahrt hier). Plötzlich werden alte Hinterlandmauern in Pankow entdeckt und hektisch vor Abriss-Investoren unter Denkmalschutz gestellt (Neuigkeiten hier). Berlin darf seine Geschichte nicht glattsanieren, wenn es sich selbst nicht vergessen will. | |||||
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Zum Beispiel Peter Gross: Der Koch der Schweizer Botschaft in Ost-Berlin will seine Freundin im Kofferraum seines Minis über die Grenze an der Bornholmer Straße schmuggeln. Sie werden gestoppt von Harald Jäger, der später hier am 9. November 1989 die Schlagbäume öffnen sollte. Die Verliebten landen beide im Gefängnis – noch heute sind sie ein Paar (Geschichte von Andreas Austilat hier). Zum Beispiel Günter Wetzel: In einem selbst gebastelten Ballon gelingt es ihm, über die Grenze zu entkommen (Rekonstruktion hier). Tollkühn schwebt Wetzel mitsamt zweier Familien über die Mauer, an der der junge Soldat Peter Richter mit seinem Bataillon die Schweinwerfer auf den Ballon richtet und sich bang fragt: „Müssen wir jetzt schießen?“ | |||||
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Die waghalsigste DDR-Flucht wurde von Bully Herbig verfilmt, „Ballon“ heißt der rasante Spielfilm. Aus Anlass des 60. Jahrestags des Mauerbaus lädt der Tagesspiegel zum Filmabend an historischem Ort: Am morgigen Sonnabend ab 19.30 Uhr wird der Film auf dem Hof der ehemaligen Stasi-Zentrale in Lichtenberg gezeigt (Ruschestraße 103). Nach der Vorführung diskutieren wir mit Ballonflüchtling Günter Wetzel sowie Daniela Münkel, Expertin des Stasi-Unterlagen-Archivs, über Fluchten über die Grenze hinweg. Am Nachmittag startet bereits ein Kinderprogramm des MachMit-Museums, zudem gibt es Führungen durchs Stasi-Archiv (alle Infos hier). Der Eintritt ist so frei, wie wir heute alle sind. | |||||
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