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Tagesspiegel Checkpoint vom Freitag, 09.10.2020 | Zumeist bewölkt bei frischen 15°C. | ||
+ Streik, Demos, überlastete Labore – Berlin erlebt heute den Ausnahmezustand des Ausnahmezustands + Frank Zander sagt Gänseessen für Obdachlose ab + Bekommt die Stadt ein Denkmal der DDR-Revolution? + |
von Robert Ide |
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Guten Morgen, heute können wir alle was erleben: Klar, in Berlin setzt sich die Normalität aus dem Unnormalen zusammen, am heutigen Freitag aber wird der Ausnahmezustand des Ausnahmezustandes ausgerufen. Hier die wichtigsten Zustände in Kürze, natürlich ganz berlinisch ohne gänzlich geklärte Zuständigkeiten: 1) Bus und Bahn werden ganztags bestreikt, weshalb sich alle abstandslos in die S-Bahn stopfen müssen (Kommentar hier). 2) Der S-Bahn-Ring ist noch bis Montag kaputt nach einem offensichtlich linksradikalen Anschlag, mit dem die Arbeiterklasse endlich von der „feministisch-revolutionär-anarchistischen“ Revolte überzeugt werden soll (Update hier). Auch am S-Bahnhof Tiergarten hat es in der Nacht gebrannt. Aktuell (6:47 Uhr) halten dort keine Züge in Richtung Zoologischer Garten (Verkehrsblog hier). 3) Das linksradikal besetzte Haus in der Liebigstraße 34 in Friedrichshain soll heute mit einem Großaufgebot der Polizei geräumt werden. Auf Friedrichshains Straßen dürften schon tagsüber Schlachten geschlagen werden, für die auch demonstrierende Kinder der „Freien Schule Kreuzberg“ instrumentalisiert werden sollen (Liveblog hier). 4) Stille Schlachten liefern sich immer mehr Eltern mit Kitas und Schulen, welche Kindergruppen wegen Infektionsfällen zu Hause bleiben sollen und wie sie angesichts der völlig überraschend über der Bildungsverwaltung zusammenschlagenden zweiten Welle noch was lernen können. Digital jedenfalls wenig (Überblick hier). 5) Alle Berlinerinnen und Berliner, die am Wochenende vor dem Corona-Chaos in die Herbstferien flüchten wollen, brauchen wegen eines bundesweiten Beherbergungsverbots plötzlich einen negativen Corona-Test. Dazu SPD-Experte Karl Lauterbach am Donnerstagabend auf Twitter: „Die Regel ist nicht kontrollierbar, nicht vermittelbar und bald redundant. Die Regel ist ein Flop und reduziert die lebenswichtige Akzeptanz anderer Regeln.“ (Kritik hier) Aber wie es mit Regeln so ist: Sie gelten – bis auf Weiteres. 6) Wer bis auf Weiteres an die östliche Ostsee will, muss nach seiner Einreise mit negativem Testfahrschein außerdem noch fünf Tage in Quarantäne in seinem Ferienhaus hocken bleiben (Übersicht zu allen Bundesländern hier). Hoffentlich hat das Hotel dann Meerblick. Sonst spielen alle aus Langeweile: Ich seee was, was Du nicht siehst. 7) Und auch das noch: Die Kapazitäten für Corona-Tests in Berlin sind jetzt schon zu 95 Prozent ausgeschöpft. Und nun werden Ärzte, Testzentren und Gesundheitsämter auch noch politisch gewollt von Urlaubswilligen überrannt. So viel zum gesunden Krisenmanagement (Erlebnisbericht hier). 8) Außer für Testlabore gilt ab Sonnabend eine stadtweite Sperrstunde. Kreuzberger Nächte sind kurz. Und Berlin ist ab 23 Uhr dicht. Immerhin das ändert sich nicht. Und damit zerstreuen wir uns mal lieber, am besten mit Urlaub von uns selbst. | |||||
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Aus der Zeit, in der eine Mauer aus Beton und Blut das Leben in Berlin noch wirklich einschränkte, ist eine Sehnsucht gefallen. Die Sehnsucht, frei reisen zu können, führten damals wie Kondensstreifen jene Flugzeuge mit, die über Ost-Berlin hinweg ins westliche Tegel einschwebten und von dort aus wieder starteten in die weite, nur von hier aus offene Welt. Die Blicke der Menschen im Osten blieben an den Fliegern der Freiheit haften – so wie heute Erinnerungen an dieser Sehnsucht haften bleiben; danach, dass der Himmel einmal ungeteilt sein mag. Nun schließt der Flughafen Tegel, woran wir im Tagesspiegel am nächsten und übernächsten Sonnabend mit großen Geschichten und einer Sonderausgabe erinnern wollen (E-Paper hier). Bald einmal werden sich unsere Blicke alle in Schönefeld treffen. Hier flog der Osten schon früher ab, mit der inzwischen abgestürzten Interflug (meine Spurensuche hier). Von einem Flughafen, in deren bronzen glänzenden Scheiben sich die kleine DDR spiegelte, wenn sie mal rausschauen wollte in die Ferne. Der Blick auf die Flugzeuge von Tegel wird eine bleibende Erinnerung bleiben, die brummt und dabei leise summt: Über den Wolken _ muss die Freiheit wohl grenzenlos sein. Eine alte Sehnsucht, die wir heute neu erleben. | |||||
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Und hier für die Heimatferien auf Balkonien und um die Ecke in Geranienburg ein bisschen Urlaubslektüre von Louise Glück, die gestern den Literatur-Nobelpreis gewann. Unter anderem für das Gedicht „Die nächtlichen Wanderzüge“ (übersetzt von Ulrike Draesner) – ein zartes Stück Poesie, das wie ein Wanderzug wirkt durch unsere veränderte, uns verändernde Zeit: Dies ist der Augenblick, in dem du die roten Beeren der Eberesche wiedersiehst, und am dunklen Himmel die Vögel beim nächtlichen Wanderzug. Es bedrückt mich zu denken, dass die Toten sie nicht sehen – diese Dinge, die uns selbstverständlich sind, sie entschwinden. Was wird die Seele dann tun, um sich zu trösten? Ich sage mir, vielleicht braucht sie diese Freuden nicht mehr; vielleicht ist es einfach genug, nicht zu sein, so schwer vorzustellen das auch ist. | |||||
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Was sich Berlin auch nicht vorstellen konnte: dass Frank Zanders alljährliches Gänseessen nicht serviert werden kann. Es wäre bereits die 26. Weihnachtsfeier des Entertainers für Tausende Obdachlose und Bedürftige gewesen (mein Erlebnisbericht vom letzten Jahr hier), doch nun wird abgedeckt. Und wie geht es Frank Zander damit? Hören wir mal rein, was uns der 78-jährige Berliner Barde am Donnerstagabend am Checkpoint-Telefon erzählt hat: „Ich bin natürlich angepinkelt wie ein Neuköllner Straßenköter. Wir haben alles versucht, um das Ding zu retten – aber es ging beim besten Willen nicht. Man kann ja bei Obdachlosen keine Kontaktlisten führen, viele sind nicht mal registriert. Und sie gehören alle zur Risikogruppe. Da können wir es nicht verantworten, Tausende oder auch nur ein paar Hundert ins Hotel Estrel einzuladen und in einem geschlossenen Raum zu bewirten. Und ich umarme die ja so gerne, das ginge alles nicht. Aber wir wollen für die Armen da sein, deshalb unterstützen wir als Familie Zander jetzt Food Trucks, die Essen zu ihnen bringen nach draußen. Und da kann ich nur alle reicheren Leute bitten, die Taschen aufzumachen, damit wir noch mehr Food Trucks bekommen. Natürlich ist die Pandemie für alle beschissen. Berlin hat einen Schlag auf die Birne bekommen und muss sich jetzt zusammenreißen. Wir haben 30 Jahre lang Party gefeiert, jetzt müssen wir wieder zeigen, dass wir Krise können. Aber immer, wenn’s hart auf hart kommt, halten die Berliner zusammen, da kannste dich druff verlassen.“ | |||||
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Aber nur fast. Denn verlassen sind so manche von den guten Geistern unserer Stadt, die noch meinen, gemeingefährlichen Gemeinsinn bei Gemeinschaftsereignissen beschwören zu müssen, etwa bei sinnlosen Fußball-Testspielen mit jubelndem Publikum in Köpenick (Eindrücke hier) oder sinnverbrannten illegalen Technoraves in den Clubs an der Warschauer Straße. Hier die Playlist eines Berliner DJs, ein Partyprotokoll im Pandemiesommer: „Für mich gab es kein Corona mehr. Wir machen die Partys auch immer noch, natürlich auch wegen des Geldes, viele Künstler und Club-Besitzer haben ihre Jobs verloren. Ich mache es aber auch, weil ich Musik und meinen Job liebe; ich liebe es, feiern zu gehen, wie viele andere auch. Aber eigentlich haben wir es auch gemacht, weil uns Corona egal ist. Und die gestiegenen Zahlen interessieren mich nicht.“ (das ganze Protokoll hier bei T+). Und ich wünsche mir vom DJ nur ein Lied: „Panic“ von The Smiths (Refrain zum Mitsingen hier). | |||||
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Und, sind wir uns einig? Zumindest sind es viele in einem: Die Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zum 30. Jahrestag der Einheit war nicht gerade revolutionär (Kommentar hier). Aber auch wenn Steinmeier im Gefühls-Hochamt in Schloss Bellevue zuweilen zu wenig Gefühl für die Verwerfungen im Osten aufbringt, so hat er doch einen interessanten Vorstoß gewagt: ein Denkmal für die friedliche Revolution in der DDR. Wo aber sollte das Mut machende Mahnmal für die Mutigen stehen? An der Orten der Opfer der DDR-Diktatur? Oder auf dem Terrain der Täter, etwa der ehemaligen Stasi-Zentrale in Lichtenberg? „Die Stasi-Zentrale ist ein Ort der Repression, der Revolution und der Aufklärung“, sagt dazu der Stasi-Akten-Beauftragte Roland Jahn am Donnerstag dem Checkpoint. „Und der Bundestag hat schon vor einem Jahr beschlossen, die alte Zentrale der Macht zu einem Ort der Diktatur- und Demokratiegeschichte umzubauen.“ Vielleicht kein Zufall, dass die hier ansässige Robert-Havemann-Gesellschaft schon an einem Konzept für ein „Forum Opposition und Widerstand im Alltag einer kommunistischen Diktatur von 1945 bis 1990“ werkelt. Und vielleicht ja auch kein Zufall, dass Steinmeier im Januar genau hier zu Besuch bei den Akten und ihren Hütern war (mein Bericht von damals hier). Zu den Akten kommt diese gegenwärtige Geschichtsdebatte gewiss nicht. Denn die Bastille steht heute für eines: das Gelingen der Französischen Revolution. | |||||
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