Editorial
Sehr geehrte Damen und Herren, Andreas Scheuer hat offensichtlich ein recht zielsicheres Ortungsradar, mit dem er jeden Fettnapf verlässlich trifft und dafür regelmäßig mit Vorzugsplatzierungen auf den Titelseiten von Tageszeitungen sowie in den Nachrichtensendungen belohnt wird. Aktuellstes Beispiel: Seine am 28. April in Kraft getretene Novelle zur Straßenverkehrsordnung, in der auch knallharte Fahrverbote mit beinhaltet waren: 21 km/h innerorts und 26 km/h außerorts über der zulässigen Höchstgeschwindigkeit sollten ausreichen, um dem "notorischen Raser" sofort für einen Monat den Führerschein zu knapsen. Zuvor wurden Fahrverbote erst ab 31 (innerorts) bzw. 41 km/h (außerorts) angeordnet. Wie schnell dabei selbst der bravste und zurückhaltendste Autofahrer seinen Führerschein verlieren kann, sieht man an den vielen nachträglichen 30er-Zonen, die immer öfter vor allem in Großstädten errichtet werden. Eines dieser Beispiele ist die Rosenheimer Straße in München, eine der Hauptverkehrsachsen aus der Innenstadt in die "rechts der Isar" gelegenen Stadtteile, welche in die südlichen und östlichen Nachbargemeinden weiterführen. Jahrzehntelang galt dort "innerorts 50", bis plötzlich "30" verpflichtend war. Ein Autofahrer, der die Straße zwar seit Jahrzehnten kennt, aber auf ihr nicht täglich unterwegs (und dadurch kognitiv "vorgewarnt") ist, verliert hier also dank der Scheuer-Novelle schneller seine Fahrerlaubnis, als er möglicherweise die neu angeordnete Geschwindigkeit überhaupt aktiv erkannt hat. Zwei Monate nach Scheuers neuer StVO steht fest, dass die gesamte Veränderungsverordnung nichtig ist. Während Olaf Scholz mit "Wums" die Wirtschaft aus der Corona-Krise bringen möchte, fährt Andreas Scheuer mit einem noch kräftigerem "Wums" und höchst öffentlichkeitswirksam hinein in den nächsten Blamagetopf. Nach dem sündhaft teuren Maut-Desaster, seiner geplanten Automatikregel bei der Führerscheinprüfung, der "vergessenen" Helmpflicht bei E-Scootern, dem Vorstoß zu einer Fahrerlaubnis für leichte Motorräder ohne gesonderte Prüfung, wird die aktuelle Novelle zur nächsten Katastrophe, deren Kosten erneut beim Steuerzahler hängen bleiben werden. Bild am Sonntag vom Wochenende widmete seine beiden ersten Seiten dem neuen Fauxpas von Andreas Scheuer. Unter Berufung auf Markus Schäpe, den Leiter der juristischen Zentrale des ADAC, wird davon gesprochen, dass seit Inkrafttreten der StVO-Änderungen rund eine Million Verkehrsvertöße begangen wurden und rund 100.000 davon "mit einem Fahrverbot belegt sein dürften". Bedenkt man, wieviele Experten einem Bundesminister intern zuarbeiten und was an weiterer, externer Beratungsleistung zusätzlich mit eingekauft wird, ist es kaum zu begreifen, dass hier eine Novelle mit einem Formfehler verabschiedet wurde. Es fehlt offensichtlich ein winziger, aber entscheidender Verweis auf die notwendige Rechtsgrundlage für Fahrverbote! Als das dem Bundesverkehrsminister aufgefallen war und er seit 1. Juli nun versucht, die Neuregelungen über die Verkehrsminister der Länder zumindest auszusetzen, um zunächst zum alten Bußgeldkatalog zurückzukehren, da war es schon zu spät: Inzwischen hatten die Fehler auch Verkehrsrechtsexperten aufgedeckt. Die Hamburger Anwältin Dr. Daniela Mielchen, die u.a. dem Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht im Deutschen Anwaltverein angehört, informierte uns detailliert bereits Ende Juni. Bedenkt man, wie nachhaltig sich mit Professor Dr. Kurt Bodewig der langjährig amtierende Präsident der Deutschen Verkehrswacht und frühere Bundesverkehrsminister aus den Jahren 2000 bis 2002 vor allem für Verkehrssicherheit und Prävention im Straßenverkehr einsetzt, wird unübersehbar, wie stark sich in diesem konkreten Regierungsamt eine immer größere Kluft auftut. Dass Scheuer mit Verkehrssicherheit wenig bis gar nichts am Hut hat, wurde vielfach öffentlich und in Fachkreisen thematisiert. Es wird deshalb Zeit, dass der amtierende Bundesverkehrsminister selbst aktiv etwas daran ändert, damit sich nicht all diejenigen, welche für immer weniger Verletzten und Tote auf deutschen Straßen kämpfen, hilflos und verlassen vorkommen müssen. Ich wünsche Ihnen eine weiterhin gehaltvolle und nachdenkliche Woche. Herzlichst, Ihr
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