Sehr geehrte Damen und Herren, | die Migrationsströme verschieben sich in diesem Jahrzehnt so stark wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Die OECD hat die neuen Daten international ausgewertet. Die Zahlen zeigen: Im Mittelpunkt der großen Wanderung steht Europa – und hier vor allem Deutschland. Asylbewerber sind dabei nicht die größte Gruppe. Die meisten Migranten kommen aus der EU zu uns. 2016 wurden insgesamt 1,05 Millionen Zuwanderer gezählt, 2017 waren es vorläufigen Zahlen zufolge rund 870.000. Damit sind wir das wichtigste Zuwanderungsland unter den Industrienationen. Noch vor klassischen Einwanderungsländern wie Kanada, Australien oder sogar den Vereinigten Staaten. „Deutschland ist klar der Motor des Migrationsgeschehens innerhalb von Europa und auch innerhalb der gesamten OECD“, sagt Migrationsforscher Thomas Liebig. Allerdings zeichnet sich auch ab: Der relativ hohe Anteil niedrigqualifizierter Flüchtlinge wird für die Integration in Arbeitsmarkt und Gesellschaft die größte Herausforderung darstellen.
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Was heute noch geschah: Rückzug: Nicht alles, was die Regierung von Donald Trump tut, ist falsch. Der gestern verkündete Rückzug der USA aus dem UN-Menschenrechtsrat ist einer der Fälle, in dem der US-Präsident vollkommen richtig liegt. Der Rat sei eine einzige Peinlichkeit, schreibt mein Kollege Clemens Wergin. Statt die Schwachen zu schützen, stelle er sich auf die Seite von Diktaturen und Autokratien – und pflege institutionellen Antisemitismus, indem Israel übermäßig oft an den Pranger gestellt werde. Die Frage sei also nicht so sehr, ob Amerika richtig liegt – sondern warum die europäischen Staaten dem Beispiel der USA nicht folgen. Wähler von Erdogans Gnaden: Am kommenden Sonntag wird in der Türkei gewählt. In den vergangenen Monaten hat die Regierung mehr als 50.000 Flüchtlinge aus Syrien eingebürgert. Wohl nicht ganz ohne Hintergedanken: Sie dürften sich am 24. Juni dankbar zeigen – und ihr Kreuzchen brav bei Präsident Recep Tayyip Erdogan und seiner AKP setzen. Dieses Extra an Stimmen braucht die Regierung dringend, wie Murat Bay berichtet. Im Südosten der Türkei, kurz hinter der Grenze zu Syrien, hat die prokurdische HDP ihre Hochburgen. Überwindet sie bei der Wahl die Zehn-Prozent-Hürde, dann verlieren die AKP und ihre Verbündeten wahrscheinlich die Mehrheit. Trauriger Held: Mesut Özil hat einen Fehler begangen. Er hat sich für den türkischen Wahlkampf einspannen lassen und wurde dafür ausgepfiffen. Beim WM-Spiel gegen Mexiko sah Özil noch trauriger aus als sonst. Jetzt fallen Kritiker über ihn her. Er hat das nicht verdient. Er hat für dieses Land und dieses Team schon Unglaubliches geleistet. Mit seiner introvertierten Melancholie und seiner existenziellen Sorge im heideggerschen Sinne ist er deutscher und europäischer als jene Lärm-Patrioten, die ihn jetzt aus dem Team schmeißen wollen. Indem Altprofis wie Mario Basler und Lothar Matthäus ihn maßlos kritisieren, rollen sie dumpfem Nationalismus den roten Teppich aus. Mein Kollege Christoph Cöln ist erschüttert: „Dass solche auf Vernichtung der öffentlichen Person abzielenden Angriffe weitgehend unwidersprochen bleiben, ist der eigentliche Skandal.“ |
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Was heute noch passiert: Neue Allianz: Österreichs Kanzler Sebastian Kurz und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sind heute Morgen in Linz zu Gesprächen zusammengekommen. Das Treffen, das auch eine gemeinsame Kabinettssitzung vorsieht, wurde bereits vor Monaten vereinbart. Erhält jetzt aber durch den Asylstreit mit der CDU eine besondere Brisanz – denn auch in Linz stehen die Themen Migration und Grenzkontrollen ganz oben auf der Tagesordnung. In diesen Minuten treten Kurz und Söder für eine Pressekonferenz vor die Kameras. Wir übertragen im Livestream. Alter Streit: Eigentlich sollten heute auch die Hauptakteure im Konflikt um die Asylpolitik aufeinandertreffen: Kanzlerin Angela Merkel und Innenminister Horst Seehofer waren in Berlin als Redner bei einer Gedenkstunde für die Opfer von Flucht und Vertreibung im Zweiten Weltkrieg vorgesehen. Vor knapp zwei Stunden hat Seehofer jedoch abgesagt – Terminprobleme, hieß es aus dem Ministerium. Seehofer werde durch einen Staatssekretär vertreten. Merkel ist aber weiterhin bei der Veranstaltung im Deutschen Historischen Museum dabei. Wir übertragen ihre Rede ab 13.30 Uhr im Livestream auf welt.de. Abschiedskonzert: Nach 16 Jahren gibt Sir Simon Rattle um 20 Uhr sein letztes reguläres Konzert als Chefdirigent der Berliner Philharmonie. Auf dem Programm steht Gustav Mahlers sechste Sinfonie, die Rattle schon 1987 mit den Berliner Philharmonikern aufführte, damals noch als Gastdirigent. Rattles Nachfolger wird Kirill Petrenko, der aktuell Generalmusikdirektor der Bayrischen Staatsoper ist. Rattle wechselt zum London Symphony Orchestra. Ich wünsche Ihnen einen Tag ohne Misstöne. Herzlichst, Ihr Ulf Poschardt
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