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Im Namen des MUWA - Museum der Wahrnehmung mchten wir auf folgende Ausstellung hinweisen und zur Erffnung und Besichtigung einladen.
viel mal mehr
Anna-Maria Bogner
Opening:
13. September 2019, 19:30h | September 13, 2019, 7.30pm
Erffnungsreden | Opening speech:
Katia Huemer, Kuratorin, Kunsthaus Graz
Anna-Maria Bogner: viel mal mehr
von Katia Huemer
Wie viel mal mehr kann Raum sein? Man ist versucht, diese Frage zu stellen, wenn man mit Anna-Maria Bogners Kunst konfrontiert ist. Konsequent befragt die Knstlerin seit Jahren die mglichen Verhltnisse von Objekt, Raum und Krper und wird nicht mde, diese in ihren Arbeiten neu zu verhandeln. Formal reduziert, entfalten sich durch gezeichnete Linien, Seile oder Lichtstrahlen (wie zuletzt im Rahmen des Grazer Klanglicht-Festivals unter der Erzherzog-Johann-Brcke) Rume, die unsere Wahrnehmung herausfordern und die Beziehung zwischen Simplizitt und Komplexitt in Augenschein nehmen.
Mit dem Etikett "Konkrete Kunst", das jene Kunstrichtung bezeichnet, die in ungegenstndlicher Weise mathematische Ordnungssysteme und geometrische Strukturen sichtbar macht, lsst sich eine jngere Generation von Knstlerinnen und Knstlern nur ungern versehen. Dennoch ist Anna-Maria Bogners Arbeitsweise jener der "Konkreten Kunst" zumindest wesensverwandt: Das Kunstwerk wird vor der Ausfhrung rational geplant und nur mit klaren Bildelementen wie Linien, Flche und Farbe entwickelt. Die Konstruktion ist klar, einfach und visuell berschaubar, die Technik auf strenge geometrische Handwerklichkeit und Przision gerichtet, und die Materialien sind einfach und auf das Wesentliche reduziert. Allerdings wehrt sich Bogner zu Recht dagegen, ihre Kunst als "konkret" zu verstehen. Der Grund dafr liegt in der Vehemenz, mit der "konkrete" Knstler wie Theo van Doesburg oder Max Bill das Einbringen von Symbolik, eine individuelle knstlerische Handschrift oder jedwede Bildbedeutung, die ber eine rein mathematische hinausgeht, ausgeschlossen hatten. "kunst ist klarheit, nicht aber mystisches mnchslatein, worunter jeder etwas anderes versteht", wie Max Bill einmal betonte.
Von mystischem Mnchslatein ist Anna-Maria Bogner weit entfernt, jedoch bedient sich ihre Kunst der Tatsache, dass sich Realitt fr jede und jeden anders darstellt. Die rezeptive Wahrnehmung ihrer Werke - ob in installativer, gezeichneter oder gebauter Form - steht immer im Zentrum. Bogners Kunstwerke sind keine allein fr sich oder die Knstlerin selbst existierenden Objekte. Vielmehr stellt Bogner Situationen bereit, die von ihrer eigenen Person unabhngig sind. Im Gegensatz zu den Dogmen "Konkreter Kunst" soll ihre nicht selbstbezogen sein; ihr Ziel als Knstlerin ist es, Fragestellungen unserer Gesellschaft durch die ideale Welt geometrischer Kunst zu reflektieren, indem sie mathematischen Momenten, die uns im alltglichen Leben andauernd, doch meist unbemerkt begegnen, Sichtbarkeit verleiht.
Selbstverstndlich wirken auch hier in der Rezeption visuelle und konzeptuelle Prozesse zusammen. Przise am Papier durchgeplant, nimmt Anna-Maria Bogner ihren Ausgangspunkt in dem achteckigen Ausstellungsraum des Museums der Wahrnehmung. Wie ein Papier, das durch mehrmaliges Falten visuell geteilt wird, parzelliert sie die zur Verfgung stehende Wandflche durch feine, direkt auf die Wand gezeichnete Linien, aus denen Dreiecke und Rechtecke hervorgehen. Die Knstlerin erstellt ein zentralperspektivisches Raster der Architektur, indem sie aus den acht Teilen des Raums nochmal acht weitere und schlielich weitere acht hervorbringt. So verdoppelt sich der grundstzlich bereits verwinkelte Museumsraum von der Mittellinie der Fensterkante aus Runde um Runde aufs Neue und wird frmlich viel mal mehr.
Der perspektivische Aufbau, den Anna-Maria Bogner in der Wandzeichnung darstellt, setzt sich - wandlufig umgekehrt - in quer durch den Museumsraum gespannten Schnren fort, die die linke Seite des Raumes dominieren. Die Mittelachse liegt, wie in der Wandzeichnung, auf Hhe der unteren Fensterachse, whrend das jeweilige Zentrum der verspannten Linien nicht zwangslufig auf die Mitte der Wand gerichtet ist. Das Entschlsseln der Systematik, die dieser Ordnung zugrunde liegt, fllt deutlich schwerer als bei der Wandzeichnung, auch dies Intention der Knstlerin. Mit simplen Mitteln hat Anna-Maria Bogner einen komplexen Raum geformt, der in uns Wahrnehmungsprozesse auslst. Bogner fordert uns auf, den eigenen Krper als Werkzeug zu benutzen, um den Raum zu vermessen und individuell zu "begreifen". So ist es, als bewege man sich durch ein Denkspiel, in dem jede und jeder auf andere Lsungen kommt.
Denn Anna-Maria Bogner groes Verdienst ist es, Kunst zu schaffen, die freie Assoziationen nicht blo zulsst, sondern zur rezeptiven Voraussetzung machen. Nchterne Mathematik und subjektive Wahrnehmung sind fr die Knstlerin kein Widerspruch, ebenso wenig wie konzeptuelle Schrfe und gesellschaftlich geprgte Interpretationen. Dieser Spielraum in ihren knstlerischen Arbeiten lsst sie von den Prinzipien der "Konkreten Kunst" abweichen.
Besonders deutlich macht Anna-Maria Bogner diesen Zugang in der Fotografie, die sie an den Anfang des Ausstellungsrundgangs im MUWA gesetzt hat: Sie zeigt den rauen Felsen einer klassischen Berglandschaft, ein Motiv, an dem es leicht gelingt, anzuknpfen; einen "Realraum", wie wir ihn alle kennen. Diagonal durch das Bild zieht sich eine weie Linie, die Bogner mit Schleifpapier erzeugt hat und die fr Irritation sorgt. Ein Bruch durch die Erscheinungsform, die wir als gegeben verinnerlicht haben. Der Blick in die Landschaft lst sich in gleichem Ma auf wie der Museumsraum, den Bogner gefaltet und wieder entfaltet hat. Auch das Objekt aus wei grundiertem Vierkantholz, das eine Sule umschliet, ist mittendurch gespalten. Seine Form deutet eine zerbrochene Endlosschleife an. Aus gewissen Winkeln betrachtet, fgen sich die zwei Teile der Skulptur wieder nahtlos zusammen. Fast knnte man meinen, Anna-Maria Bogner htte uns als Betrachtende die Aufgabe zugedacht, den Bruch durch die Skulptur mittels Perspektivenwechsels zu heilen. Mit diesem einfachen Kniff fhrt uns die Knstlerin zu einer grundlegenden Erkenntnis: Durch jede Interaktion nehmen wir Einfluss auf die Existenz unserer Umwelt. Um Georg Simmels Soziologie der Sinne (1907) zu folgen, liegt der Grund, weshalb wir berhaupt in Wechselwirkung zueinander treten knnen, im Umstand, Objekte und uns gegenseitig sinnlich wahrnehmen zu knnen. Im Rckschluss bildet die Sinneswahrnehmung also die Grundlage, die eine Gesellschaft mglich macht.
Anna-Maria Bogners Arbeiten lassen sich am eindrcklichsten mit dem ganzen Krper erfassen. Eine Ausnahme stellt der zweidimensionale Bildtrger dar, mit dem Bogner das "Faltmuster" im Zentrum der Wand berlagert. Die Arbeit im langgestreckten Querformat 60 x 240 cm nimmt erneut Bezug auf die Umgebung, in der wir uns gerade befinden. Sie bildet einen Ruhepol, vor dem wir stehenbleiben und sich unsere Sinne erholen knnen. Mit dem fr uns typischen Willen zur Kategorisierung betrachtet, handelt es sich zweifellos um eine Zeichnung, doch diese Arbeit will keine Zeichnung sein. Demzufolge enthlt sie auch kein Bild, sondern Raum. Die Komponenten aus schwarzen und weien Flchen aus Pastellkreide, durchzogen von dnnen Bleistiftlinien, fgen sich ineinander und lschen sich dabei gegenseitig aus. Wei entsteht bekanntlich als Farbeindruck intensiven Lichteinfalls auf die Netzhaut, whrend als Schwarz jene Farbempfindung bezeichnet wird, die entsteht, wenn jeglicher visuelle Reiz fehlt. Die Reduktion der Arbeit auf die zwei Pole unserer Farb- und Lichtempfindung sowie auf einfache geometrische Formen ermglicht - so absurd das klingen mag - im Zweidimensionalen die pure Veranschaulichung von Raum.
"Perception is subjective", hielt Sol LeWitt 1969 in einem Artikel zur Konzeptkunst fest. Denn wie sehr wir uns auch drehen und wenden mgen, um einen anderen Blick auf die Welt zu erhaschen, wir kommen immer wieder zu uns selbst zurck, zu unserer Reaktion auf das, was wir erleben oder wie wir das Erlebte bewerten. Die Erkenntnis, dass der Geist ber Materie herrscht, mag vielleicht wie eine spirituelle berzeugung klingen, wurde inzwischen aber auch durch die Quantenphysik besttigt. Unser Bewusstsein entscheidet darber, was wir wahrzunehmen imstande sind und was nicht, denn die Welt, in der wir leben, entsteht in unseren Kpfen. Die stabilen Bahnungen in unseren Gehirnen, die sich im Laufe der Zeit durch Erfahrungen und Bewertungen mehr und mehr verfestigen, erleichtern uns den Alltag, indem sie uns mit Mustern versorgen, nach denen wir gewohntermaen handeln und denken knnen. Und doch prgen uns jene Momente, die uns "aus der Bahn" werfen, auf viel nachhaltigere Weise als die alltglichen Routinen.
Mit Hilfe von Anna-Maria Bogners Kunst schaffen wir es, diese festgefahrenen Bahnen in uns ein Stckweit zu verlassen. Was uns die Knstlerin also mit ihren rumlichen Versuchsanordnungen sagen will? "Sie sehen das ganz richtig!"
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Diese Zusendung erfolgt entsprechend den Bestimmungen des TKG 107, www.rtr.at/ecg . Die ECG-Liste vom 09.05.2018 wurde bercksichtigt.
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