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Seit Corona sind die meisten Journalisten nur mehr virtuell bei den Briefings dabei.
Guten Tag,

bevor ich nach Brüssel kam, um für die SZ über die Europäische Union und die Nato zu berichten, hatte ich schon aus Washington berichtet. Im Vergleich zum Dasein als US-Korrespondent zeichnet sich die Arbeit in Brüssel durch zwei Dinge aus: mehr Nähe und mehr Transparenz. In Washington ist man als ausländischer Journalist für wichtige Politiker nicht sonderlich interessant, wenn man nicht für ein spanischsprachiges Medium arbeitet - denn solche werden von US-Wählern wahrgenommen. "Zugang", wie es im Journalisten-Sprech heißt, bekommt man also selten, beziehungsweise erst nach Jahren.

In Brüssel ist das anders: Gerade ein deutsches Medium findet viel Beachtung, weil wenig auf EU-Ebene vorangeht, wenn Berlin blockiert (und deutsche Politiker sollten sich bewusst sein, dass ihre Interviews nicht nur vom heimischen Publikum gelesen werden). EU-Kommissare und deren Berater, Thinktanker, Abgeordnete des Europaparlaments sowie Minister, die zu den monatlichen Treffen anreisen - wer sich rechtzeitig um Termine bemüht, kann mit vielen Entscheidern direkt reden.

Das ist der Aspekt der Nähe. Zur Transparenz trägt bei, dass sich in Brüssel so viele Akteure tummeln, die ihre Sicht mitteilen oder zumindest gehört werden wollen (das gilt auch für Lobbyisten). So bekommt man als Journalist oft Zugang zu Unterlagen oder findet jemand, der aus einer Sitzung berichtet. Die EU-Institutionen stellen zudem relativ viele Dokumente online. Die wirklich brisanten Papiere findet man dort nicht, aber es gibt täglich die Chance, die EU-Kommission zu löchern: im "Midday Briefing", das in einem fensterlosen Saal im Untergeschoss des Berlaymont-Gebäudes stattfindet. Dort können Korrespondenten aus aller Welt den Sprechern Fragen stellen - und immer wieder nachbohren. So bekommt auch der deutsche Reporter mit, welche Themen in Italien, Bulgarien oder Portugal interessieren.  

Diese Absätze beschreiben natürlich "die Zeit vor Corona", wie es heute floskelhaft oft heißt. In Brüssel herrscht seit Mitte März für fast alle "télétravail", weshalb das mittägliche Briefing nur noch virtuell stattfindet. Natürlich gibt es die Möglichkeit, per E-Mail, Messenger-Dienst oder Anruf von den zuständigen Sprechern oder Beratern Informationen zu bekommen, aber die Kontaktsperren machen allen bewusst, wie wichtig das "Let’s grab a coffee" für die tägliche Arbeit ist. So manche Recherche beginnt durch ein zufälliges Treffen auf der Straße, in dem eine Bemerkung mit interessantem Hinweis fällt. Nun tippen im Europaviertel alle noch mehr WhatsApp-Nachrichten als ohnehin schon.    

Bis Anfang dieser Woche lief das virtuelle Briefing in der Corona-Ära so ab, dass die Korrespondenten bis elf Uhr ihre Fragen per E-Mail schicken konnten. Eric Mamer, der Chefsprecher von Ursula von der Leyen, und sein Team bündelten diese dann thematisch und lasen sie vor. Die meisten Sprecher sind aus dem Home-Office zugeschaltet, manche kommen noch ins Berlaymont. Die große Mehrheit der Journalisten weiß es zu schätzen, wie die Kommission die Pressekonferenz an die Pandemie-Lage angepasst hat, aber der Unmut ist zuletzt gewachsen: Ohne die Chance, Nachfragen zu stellen, fällt es den Kommunikationsprofis mitunter recht leicht, heikle Themen abzumoderieren.

Seit Dienstag läuft das "Midday Briefing" deshalb etwas anders ab: Die Korrespondenten werden zugeschaltet und können ihre Fragen wieder persönlich stellen und auch nachfassen. Das macht die ganze Veranstaltung sehr viel lebendiger - und schafft auf eine andere, menschlich-sympathische Art Transparenz. Denn es sind nicht nur die Sprecher der EU-Kommission (die allesamt an das Projekt Europa glauben und meist sehr hilfsbereit sind), die mit der Technik kämpfen müssen und das "virtuelle Handheben" oder das Zuschalten der Kamera nicht sofort beherrschen. Auch wir Journalisten haben hier viel rumprobieren und dazu lernen müssen.  

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Ich für meinen Teil freue mich schon enorm auf den Tag, wenn wieder mehr Nähe möglich ist. Das liegt nicht nur daran, dass Hintergrundgespräche von Angesicht zu Angesicht ertragreicher sind: Ich vermisse auch meine Kollegen und den Austausch mit ihnen. Zumindest zwei treffe ich regelmäßig im Treppenhaus. Der Zufall will es nicht nur, dass ich als einziger der drei SZ-Korrespondenten bisher unser Brüsseler Büro genutzt habe, sondern auch, dass zwei Kollegen aus Österreich genau in dem Haus wohnen, in dem unser Büro ist. Also können wir, mit genügend Abstand und teilweise durch Masken geschützt, Gerüchte austauschen. Was für ein Highlight in diesen Tagen!

Mit besten Grüßen
Matthias Kolb, SZ-Korrespondent
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