Liebe Leserin, Lieber Leser,
von wahren Glaubenssätzen verabschieden sich Missionare, aber auch Gewerkschafter nur unter Folter. Oder wenn’s halt gar nicht anders geht. IG-Metall-Chefin Christiane Benner ließ diese Woche von der Idee ab, die „Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich“ könne die Welt retten.
Ihre Begründung: „Wir spüren gerade in vielen Betrieben die angespannte wirtschaftliche Situation.“ Die Krise will einfach nicht enden. Da wagt sogar die IG Metall einen Kurswechsel. Jahrelang schien es ja kaum noch ein anderes Thema zu geben als die Frage, wie man noch weniger arbeiten kann, ohne auf Geld verzichten zu müssen. Work-Life-Balance wurde eine der letzten Boom-Branchen.
Wer nicht regelmäßig „Workation“ oder Sabbatical beantragte, war selbst schuld oder arbeitete noch richtig echt im Verkauf, in einer Fabrik oder eben bei uns in der FOCUS-Redaktion. Das Volk der Dichter, Denker und Ingenieure schien sich endgültig in eine Gesellschaft von hauptberuflichen Mandala-Ausmalern transformieren zu wollen.
Einer der Apostel der Bewegung wurde der Unternehmer Carsten „Maschi“ Maschmeyer, der sich von der Idee u.a. weniger Krankheitsausfälle versprach: „Mir ist eine Vier-Tage-Woche lieber als eine Null-Tage-Woche.“ Das mag alles sehr charmant klingen, aber währenddessen erodierte nicht nur die hiesige Wirtschaft, sondern unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit gleich mit.
Im OECD-Vergleich ist Deutschland mit zuletzt 1340 Arbeitsstunden pro Jahr das Schlusslicht. Auch Franzosen und Schweizer ackern jährlich zwischen 170 und 180 Stunden mehr. Moritz Schularick, Präsident beim Kiel Institut für Weltwirtschaft, macht eine schlichte Rechnung auf: Wenn die Republik nur eine Stunde zusätzlich arbeiten würde pro Woche, stiege das Bruttoinlandsprodukt um 2,1 Prozent – oder 90 Milliarden Euro pro Jahr. |