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Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Dienstag, 24.09.2024 | überwiegend bedeckt, Regen bei 13 bis 19°C. | ||
+ Wolfgang Thierse im Interview: „Die AfD ist ein Frontalangriff auf die Demokratie“ + Immer weniger Studierende beantragen Bafög in Berlin + Die Atzen distanzieren sich von der Umdichtung ihres Partyhits + Radabrieb bremst Berlins Straßenbahnen + |
von Robert Ide |
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Guten Morgen, wir fangen mit dem Schlimmsten an: Auf Berlins Kultursenator Joe Chialo (CDU) ist ein weiterer antisemitischer Angriff verübt worden. Unbekannte beschmierten in der Nacht zu Montag den Hauseingang seiner Privatadresse mit Farbe und mit israelfeindlichen Schriftzügen, darunter der Parole „Genocide Joe Chialo“. Der Senator war bereits vor knapp zwei Wochen von selbst ernannten propalästinensischen Aktivisten tätlich angegriffen worden. Bei einer Veranstaltung in Moabit bedrängten ihn rund 40 Personen, die größtenteils Palästinensertücher trugen, es wurde Pyrotechnik gezündet und ein Mikrofonständer in Chialos Richtung geworfen. Wie berichtet, treten die angeblichen Verteidiger der palästinensischen Interessen in Berlin auch bei Demonstrationen immer aggressiver und gewaltvoller auf. „Der Angriff auf das Wohnhaus von Joe Chialo überschreitet jede Grenze. Er zeigt, dass sich die Täter für jegliche Diskussion disqualifizieren“, teilte der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) mit. „Noch wichtiger ist es jetzt, die dahinter liegenden Strukturen aufzubrechen. Deshalb ist eine Demokratieklausel bei der Vergabe staatlicher Mittel dringend notwendig.“ Chialo und Wegner wollen die Kulturförderung künftig an ein Bekenntnis gegen Antisemitismus und Diskriminierung knüpfen. Nach Protesten aus der Kulturszene und rechtlichen Bedenken hatte Chialo das Vorhaben zunächst ausgesetzt, um nachzubessern. Chialo wertete den Angriff auf sich und seine Privatsphäre als klares Signal „eines radikalen Milieus, einer kleinen Gruppierung, die versucht, ihre Meinung mit Gewalt durchzusetzen“. Seit dem ersten Vorfall habe er Personenschutz, seine Adresse sei nicht einfach zugänglich, sagte er der „SZ“. „Die Täter müssen mich beobachtet haben. Das zeugt von erheblicher krimineller Energie.“ | |||
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Nach drei Wahlen in Ostdeutschland gibt es zumindest drei gute Nachrichten: Die Demokratie lebt. Mut zahlt sich aus. Und die Politik fordert die Menschen dazu heraus, sich selbst mehr einzubringen. Nach dem knappen Sieg von Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) gegen eine in Brandenburg besonders radikale AfD steht das Land allerdings vor einem politischen Patt. SPD und CDU kommen im neuen Parlament auf 44 von 88 Stimmen – das populistische Bündnis Sahra Wagenknecht wird damit auch hier zum Königsmacher. Zählt man die drei Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg zusammen, hat die AfD die meisten Stimmen erhalten und dabei insbesondere junge Wählerinnen und Wähler für sich gewonnen. Die nach Berlin transferierte Bonner Republik existiert nach diesen Wahlen politisch nicht mehr. Wie in Thüringen zeigte sich auch im die Hauptstadt umgebenden Bundesland: Je radikaler die AfD auftritt, desto stärker wird sie im Osten gewählt. Nur mit Protest gegen die nicht mal mehr im Notbetrieb laufende Ampel-Koalition in Berlin ist das nicht zu erklären. Sondern mit einer verfestigten Angst und Müdigkeit gegenüber allen Veränderungen, selbst wenn sie nötig sein sollten, und mit dem von Generation zu Generation weitergegebenen Wunsch, eine neue Obrigkeit solle endlich für Ruhe und Ordnung sorgen. Die Demokratie in Ostdeutschland fordert sich selbst heraus. Und gerät dabei an ihre Grenzen. | |||
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Einer, der schon in der DDR für die Demokratie kämpfte, ist der Bürgerrechtler und langjährige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse. Im Checkpoint-Interview spricht der 80-jährige Sozialdemokrat über die Lehren aus den Wahlen und seine Hoffnungen für die ostdeutsche Gesellschaft. Herr Thierse, sind Sie erleichtert, dass die SPD noch lebt? Dass die SPD lebt, wusste ich auch vor der Wahl. In Ostdeutschland hat sie es generell schwer, weil es dort zwei Diktaturen gab, die die Sozialdemokratie zerstört haben. Nach dem Sieg von Dietmar Woidke dürfen wir natürlich etwas erleichtert sein. Aber die AfD hat auch in Brandenburg bei hoher Wahlbeteiligung eine Sperrminorität erreicht, das ist äußerst beunruhigend. Wie erklären Sie sich, dass gerade junge Leute im Osten die AfD wählen? Die AfD hat medial und kommunikativ einen dramatischen Einfluss auf die Jugend, insbesondere im Internet. Es hilft nicht, dafür allein den anderen Parteien die Schuld zuzuschieben. Die Parteien haben im Osten wenige Mitglieder, sie sind nicht überall präsent. Ich frage mich eher: Was ist in der Erziehung in Elternhäusern und Schulen schiefgelaufen? Die politische Bildung und die Aufklärung, wie Demokratie funktioniert, hat hier versagt. Fast die Hälfte der ostdeutschen Wählerinnen und Wähler unterstützten die radikale AfD oder das populistische BSW. Verfestigt sich hier eine Ablehnung der bisher gekannten Politik? AfD und BSW setzen allein auf Emotionen und schüren Ressentiments. Das wichtigste Ressentiment der AfD ist ihre Ausländerfeindlichkeit. Den politischen Verschiebungen liegen dramatische Veränderungsängste zugrunde. Brandenburg zum Beispiel hat ein größeres Wirtschaftswachstum als Bayern und steigende Einkommen. Aber diese Realität wird von den Leuten nicht wahrgenommen, wenn ihnen übers Internet oder asoziale Kommunikationsmittel permanent mitgeteilt wird: Alles ist furchtbar. Die Unterschiede zwischen Stadt und Land werden ins Negative aufgebauscht. In der Lausitz schaffen wir Ersatzarbeitsplätze für den Bergbau, aber so etwas dauert eben Jahre. Die Populisten setzen hier auf apokalyptische Kommunikation. AfD und BSW versprechen wahre Wunder, die sie nicht einlösen müssen. Ist die Bundesregierung von SPD-Kanzler Olaf Scholz nicht längst am Ende? Alles geht leider im unsäglichen Streit unter, den die FDP immer weitertreibt. Muss die FDP erst minus zehn Prozent der Stimmen bekommen, bevor sie begreift, dass ihre Blockade alles kaputt macht? Was Olaf Scholz betrifft: Wir werden ihn menschlich nicht ändern. Aber ich wünsche mir, dass er die Dramatik und Ernsthaftigkeit der Lage endlich aufgreift, sich dazu erklärt und Menschen sichtbar zeigt, dass er ihre Ängste wahrnimmt. Die Regierungsbildung in den Ost-Ländern wird jetzt sehr schwer. War die Polarisierung in den Wahlkämpfen ein Fehler? Diese drei Wahlen sind ein Weckruf für die demokratische Zivilgesellschaft. Und die Wahlkämpfe der Ministerpräsidenten waren eine Antwort auf die Polarisierung, die die AfD betriebt. Die AfD in ihrer jetzigen Verfassung ist ein Frontalangriff auf die Demokratie. Dass man sich dagegen wehrt und wie Dietmar Woidke seine ganze persönliche Autorität einsetzt, finde ich nicht kritikwürdig, sondern gut. Wie kann die Demokratie im Osten gerettet werden? Politik muss Probleme schneller lösen und ihre Wege angemessen erläutern und erklären. Die Menschen müssen merken, dass ihre Ängste angenommen und bearbeitet werden. Aber eine Demokratie funktioniert nur Schritt für Schritt. Demokratische Politik darf in diesen sich rasant wandelnden Zeiten keine Wunder ohne Schmerzen versprechen. Das wäre nicht ehrlich. Wenn Sie weiterhin wissen wollen, wie sich in Brandenburg eine neue Regierung formt, wie die sächsische Zivilgesellschaft mit der veränderten Stimmung kämpft und welches politische Drama schon in dieser Woche in Thüringen ansteht, dann lesen Sie gerne unseren Newsletter „Im Osten“ mit Hintergründen, Analysen und exklusiven Interviews aus den nicht mehr neuen Bundesländern. Hier diskutieren wir auch mit vielen Leserinnen und Lesern über die neue Lage im Land und halten stets Tipps parat, wo man zwischen Ostsee und Erzgebirge mal gut durchatmen kann. Ein kostenloses Abo gibt es hier. | |||
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„Hey, das geht ab – wir feiern die ganze Nacht!“ So tanzte sich die Berliner Band „Die Atzen“ vor 15 Jahren in die Herzen der Partypeople (Video hier). Ein paar Jahre später dichteten Hertha-Fans im Rennen um die deutsche Fußball-Meisterschaft – kaum zu glauben, aber damals zum Greifen nah – die Hymne um und sangen mit den Rappern gemeinsam in der Ostkurve des Olympiastadions: „Hey, das geht ab – wir feiern die Meisterschaft!“ (Video hier). Nun, bei der Wahlparty der Brandenburger AfD grölten Jungnazis zu dem Song die ausländerfeindlichen Zeilen: „Hey, das geht ab – wir schieben sie alle ab!“ (hier kein Video). Grünen-Politiker Volker Beck stellte Strafanzeige wegen Volksverhetzung. Und die Partyrapper zeigten sich am Montag auf Instagram stabil: „Die Einzigen, die unseren Song umdichten dürfen, sind die Hertha BSC Ostkurve und Spongebob.“ Klarer kann man eine Distanzierung kaum ausdrücken. | |||
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Wie sollen Studierende eigentlich zum Studieren kommen, wenn die Monatsmieten selbst für kleinste Mikroapartments oder WG-Zimmer die Studienförderung auffressen? Diese Lebensfrage für viele junge Menschen haben wir hier im Checkpoint schon öfter behandelt. Nun zeigt auch eine parlamentarische Anfrage die Probleme der Studienfinanzierung in Berlin auf. Demnach wurden im August 2745 Anträge für eine Studienförderung durch Bafög gestellt – ein Rückgang von mehr als 50 Prozent innerhalb eines Jahres. Sowohl die Mittel als auch die Anzahl der Geförderten sind im Vergleich zu 2023 kontinuierlich zurückgegangen, berichtet die Wissenschaftsverwaltung auf Linken-Anfrage. Hat die wissbegierige Jugend etwa keinen Bock mehr auf das besserwisserische Berlin? Das Studierendenwerk vermutet eher einen Zusammenhang zu den hohen Mieten in der Hauptstadt. „Ein Studium in Berlin leisten sich eher Programmstudierende, welche nicht förderungsberechtigt sind, und Studierende mit Eltern, deren finanzieller Background dies möglich macht, aber eben auch eine Bafög-Förderung eher nicht ermöglicht“, sagt Jana Judisch vom Studierendenwerk dem Checkpoint. Es sei wahrscheinlich, dass immer weniger Bafög-Berechtigte nach Berlin kommen, „solange der Wohnungsmarkt hier keine erschwinglichen Mieten anbietet“. Vielleicht sollte die Stadt einmal ihre sozialen Kennzahlen studieren. Dann wird sie aus sich selbst ein wenig schlauer. | |||
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So, wer hat heute ein Rad ab? Die BVG, die in Berlins U-Bahn-Schächten nach wie vor mit ihrer Selbstüberforderung kämpft, kriegt auch auf der Straßenbahnschiene nicht alle Räder zum Rollen. Nach Checkpoint-Informationen stehen derzeit viele Straßenbahnen zur Reparatur im Betriebshof Marzahn. Die BVG bestätigte auf Nachfrage, „dass es auch bei der Tram aktuell ein leicht erhöhtes Werkstattaufkommen gibt“. Zu den Verzögerungen im Betriebsablauf erklärt BVG-Sprecher Markus Falkner: „Dies hat mit Rad-Schiene-Themen zu tun, die analysiert wurden und in Kürze gelöst sind.“ Nach Informationen aus Unternehmenskreisen soll es vor allem auf den Schienen der vor einem Jahr eröffneten Strecke zwischen Hauptbahnhof und Moabit zu einem stärkeren Reifenabrieb kommen. Deshalb müssten die Straßenbahnen häufiger in die Werkstatt. Im Gegensatz zur U-Bahn hat das Unternehmen aber angeblich noch Reserven. „Es gibt und gab keine Auswirkungen auf den Fahrplan und die Fahrgäste“, teilt Falkner mit. Für die zuletzt unterirdisch fahrende BVG wäre das schon ein Erfolg. | |||
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