Heribert Prantl beleuchtet ein Thema, das Politik und Gesellschaft (nicht nur) in dieser Woche beschäftigt.
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14. April 2024
Prantls Blick
Die politische Wochenschau
Prof. Dr. Heribert Prantl
Kolumnist und Autor
SZ Mail
Guten Tag,
die Sicherheitslage in Deutschland ist objektiv eigentlich ganz gut, aber subjektiv sehr schlecht. Die neue Polizeiliche Kriminalstatistik hat das Grundgefühl verstärkt, dass alles immer schlechter wird. Das stimmt zwar nicht, wird aber von den aktuellen Zahlen scheinbar bestätigt. Nachdem die Kriminalitätszahlen von 2016 bis 2021 deutlich zurückgegangen waren, sind sie 2022 und 2023 wieder gestiegen. Sie erreichen ein Niveau, das Kriminologen, die das Auf und Ab der Zahlen in den vergangenen drei Jahrzehnten kennen, als „normal“ bezeichnen. Die Kriminologen können auch das ganz enorme Straftaten-Plus, das sich für das vergangene Jahr bei nicht deutschen Tatverdächtigen ergibt, verständlich erklären; es liegt bei 17,8 Prozent. Und bei den nicht deutschen Jugendlichen liegt die Zunahme der polizeilich registrierten Straftaten bei spektakulären 31 Prozent. 

Die Kriminologen sind darüber nicht so aufgewühlt wie die Öffentlichkeit. Sie weisen auf die simple Tatsache hin, dass die Zahl der Nichtdeutschen in Deutschland stark gestiegen ist. Sie seien „nicht wesentlich auffälliger geworden, sondern vor allem mehr“ â€“ so hat das die SZ in ihrer Analyse zusammengefasst (SZ Plus). Es leben sehr viel mehr Menschen ohne deutschen Pass in Deutschland als 2021, also als zu Beginn des Kriegs in der Ukraine und vor dem deutlichen Anstieg der Asylbewerberzahlen. Zu den kriminogenen Faktoren gehört die prekäre Situation in den Erstaufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge; dort gab es auch die bei Weitem höchste Zunahme von Gewalttaten. Das heißt: Viele der von Migranten verübten Gewaltdelikte treffen andere Migranten. Richtig ist und bleibt auch der Hinweis darauf, dass die Polizeiliche Kriminalstatistik kein echtes Abbild der Kriminalität darstellt, sondern vor allem ein Tätigkeitsausweis der Polizei ist. Sie müsste eigentlich mit der Statistik der Verurteilungen abgeglichen werden. 

Die Darlegungen der Kriminologen sind plausibel. Die Angst der Menschen vor Kriminalität ist gleichwohl weder kleinbürgerlich noch reaktionär, sondern real und berechtigt. Jeder macht seine jeweils eigenen Erfahrungen, die dann von Medien klischiert und multipliziert werden. Eine Innenpolitik, die versuchen würde, diese Angst einfach als übertrieben abzutun, würde sich selbst disqualifizieren. Eine Innenpolitik aber, die auf diese Angst nur mit falschen Verheißungen antworten würde, würde sich nicht weniger disqualifizieren. Zu den falschen Verheißungen gehört es auch, sich vor Migration abschotten zu können. 

Die Erkenntnis des großen Strafrechtslehrers Franz von Liszt stammt schon aus dem 19. Jahrhundert, stimmt aber noch immer: „Die beste Kriminalpolitik liegt in einer guten Sozialpolitik.“ Die modernen Ansätze zur Erklärung der Kriminalitätsursachen ergänzen und vertiefen diese Aussage. Zu den Vertiefungen gehört eine Flüchtlingspolitik, die Flüchtlinge nicht zum Nichtstun verdammt. Wer in Erstaufnahmeeinrichtungen lebt, darf noch immer nicht arbeiten, er fristet die Tage, Wochen und Monate mit sehr vielen Menschen auf engstem Raum. Das zu ändern ist Kriminalitätsvorbeugung und Kriminalitätsbekämpfung.
SZPlus Prantls Blick
Auch der Kriminologe geht nachts mit flauem Gefühl durchs Bahnhofsviertel
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Ich wünsche Ihnen die schönen Regungen des Mai schon im April.

Herzlich
Heribert Prantl
Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung
SZ Mail
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Prantls Leseempfehlungen
Die Anschläge meiner Mutter
Vor bald 30 Jahren wurde Antje Vollmer als erste Vertreterin der Grünen zur Bundestagsvizepräsidentin gewählt; gegen den Widerstand der SPD hatte der CDU-Stratege Wolfgang Schäuble den Weg dafür frei gemacht. Vollmer war eine überzeugte, bekennende, trotzige Pazifistin, die sich dann im Laufe der Jahre in ihrer grünen Partei immer einsamer fühlte. Vor einem Jahr ist sie gestorben. Kurz zuvor veröffentlichte sie unter dem Titel „Was ich noch zu sagen hätte“ ihr Vermächtnis. Es ist eine Warnung vor einer erneuten Eskalation von Krieg, Gewalt und Blockkonfrontation und es endet mit dem Satz: „Wer die Welt wirklich retten will, diesen kostbaren einzigartigen wunderbaren Planeten, der muss den Hass und den Krieg gründlich verlernen. Wir haben nur diese eine Zukunftsoption.“ 

In einem kleinen Buch zum ersten Todestag, in dem auch dieser Beitrag noch einmal abgedruckt ist, diskutieren ihre Weggefährtinnen und Weggefährten darüber, wie Vollmers Vermächtnis als Pazifistin weitergetragen werden kann. Besonders bewegend darin ist der Beitrag ihres Sohnes Johann Vollmer über den „Sound meiner Kindheit, der mich jeden Abend zum Einschlafen begleitete“: Es ist das Klackern und Tickern von Antje Vollmers Schreibmaschine, die sie in ihrer Pariser Studienzeit auf einem Trödelmarkt erstanden und auf der sie ein halbes Leben geschrieben hat. Ihr Sohn interpretiert in seinem Beitrag die letzte Botschaft seiner Mutter so: „Bleibt mutig. Bleibt zuversichtlich. Glaubt an den Dialog. Er ist der einzige Weg.“ Frieden schließe man mit Feinden, nicht mit Freunden – das habe seine Mutter ihm immer wieder gesagt. Und: Wer es nicht schaffe, sich in das Gegenüber hineinzuversetzen, wer nicht zuhören könne, ohne sich damit gleich mit einer Sache gemein zu machen, wer die Tür eines Raumes nicht geschlossen halte und das Gesagte für sich behalten könne, sei in der Diplomatie falsch. 

Antje Vollmer u.a.: Den Krieg verlernen. Zum Vermächtnis einer Pazifistin. Eine Flugschrift, VSA-Verlag 2024, 120 Seiten, 10 Euro
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SZPlus
Das Haus Europa
Vor fünf Jahren brannte die Kathedrale Notre-Dame in Paris, sie brannte die ganze Nacht hindurch, 15 Stunden lang. Es war, als brennte das europäische Haus. Es war, als stürzte das Dach Europas ein. Das Wahrzeichen Notre-Dame ist in einer fantastischen gemeinsamen Anstrengung von Bauleuten und Wissenschaftlern wieder aufgebaut worden. In ein paar Monaten wird Notre-Dame neu eröffnet. Oliver Meiler schildert, wie dieses Wunder gelingen konnte – dank der virtuellen Rekonstruktion des Bauwerks, dank der Speicherung von Millionen Daten aller Art, basierend auf zigtausend Bildern vom Zustand vor und nach dem Brand, und dank der Zielstrebigkeit von Präsident Macron. Der Wiederaufbau konnte sich am Modell eines digitalen Zwillings orientieren. Der Kollege Meiler stellt uns den Italiener Livio de Luca vor, der die Plattform dafür geschaffen hat und der von sich sagt: „Ich denke eher europäisch“. De Luca schwärmt vom kollektiven Elan, der sich, „spontan und emotional“, um die alte Kirche in Paris entfaltet habe.

Man wünscht sich diesen Elan auch beim Aufbau Europas nach einem hoffentlich baldigen Ende des Kriegs in der Ukraine. Dort brennt es seit 26 Monaten, es gibt Hunderttausende Tote. Die Zerstörung ist ungeheuer. Es braucht die ganze Kraft des Kontinents, es braucht einen ungeheuren europäischen Elan, um erst die Idee des europäischen Hauses wiederzubeleben und dann das Projekt selbst wieder anzupacken.
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