| Liebe Leserin, lieber Leser, |
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der weitestreichende Vorschlag kommt aus Berlin. Oder aus dem südlichen Ruhrgebiet, wie man es nimmt. Vor drei Wochen hatte Sandra Kegel an dieser Stelle unsere Reihe „Pflichtlektüre für Demokraten“ vorgestellt und Sie nach Ihren Empfehlungen gefragt. Längst würde man sich wünschen, gezielt einzelnen Politikern Bücher zur Lektüre verordnen zu können, mitsamt der Pflicht, das Gelesene dann auch noch zu bedenken. Ihre Antworten – die jüngste erreichte uns vorgestern – ergänzen unsere kleine Auswahl bestens, und sie bestärken uns im Entschluss, die Reihe auch nach der Wahl fortzusetzen. Wir danken herzlich für alle Einsendungen und möchten Ihnen eine Auswahl vorstellen: | Fridtjof Küchemann | Redakteur im Feuilleton. | |
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| Hans Falladas „Bauern, Bonzen und Bomben“ aus dem Jahr 1931 ist der Vorschlag von Axel Dittmar, ein Roman, dessen politische Lehren, so unser Leser, „heute von bemerkenswerter Aktualität“ seien, auch wenn das Buch die Landvolkbewegung in Schleswig-Holstein während der Weimarer Republik – verlegt in eine ausgedachte Stadt in Pommern – zum Thema hat. „Eindringlich schildert er, wie wirtschaftliche Not die bäuerliche Bevölkerung zu massiven Protesten trieb – Proteste, die zunehmend von extremistischen Kräften instrumentalisiert wurden“, schreibt Axel Dittmar: „Fallada zeigt auf, wie wirtschaftliche Krisen gesellschaftliche Radikalisierung begünstigen – eine Entwicklung, die sich auch in aktuellen Protestbewegungen widerspiegelt. Populistische Akteure nutzen gezielt soziale Unsicherheiten und mediale Inszenierung, um einfache Feindbilder zu schaffen und das Vertrauen in demokratische Institutionen zu untergraben. Zudem macht der Roman deutlich, dass das Versagen der demokratischen Mitte sowie eine Politik, die legitime Sorgen ignoriert oder ausschließlich repressiv begegnet, die gesellschaftliche Spaltung weiter vertiefen können. Auch die Gefahr, dass legitimer Protest in Gewalt umschlägt, sobald extreme Kräfte die Dynamik übernehmen, ist heute hochrelevant.“ Der Roman mahne eindringlich, Krisen und soziale Spannungen nicht zu unterschätzen: „Demokratien müssen Proteste ernst nehmen, konstruktiv darauf reagieren und verhindern, dass diese von extremistischen Kräften unterwandert werden.“ Johannes Haag empfiehlt „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“ von Amos Oz, vor mehr als zwanzig Jahren bei Suhrkamp veröffentlicht, und Sara Klatts noch kein Jahr altes Buch „Das Land, das ich dir zeigen will“: Im ersten erzählt der große israelische Schriftsteller aus der Mandats- und der Frühzeit des Staates Israel, wie er sie selbst als Kind erlebt hat, im zweiten spannt die Enkelin eines nach Israel ausgewanderten Berliner Juden, selbst 1990 geboren und in Hamburg aufgewachsen, den Bogen von Erlebnissen der Großelterngeneration zum Blick ihrer eigenen Generation auf dieses Land. „Eine fundierte Einstellung zu Israel zu finden ist für deutsche Demokraten sehr wichtig“, schreibt Johannes Haag, „und beide Bücher helfen zu verstehen, warum Israel als Staat bestehen bleiben muss.“ *** Unsere Empfehlungen der Woche: Ein Familientyrann, der immer recht hat: Tilman Spreckelsen über Kafkas „Brief an den Vater“ als Neuerwerbung des Deutschen Literaturarchivs „Wer sein Vaterland rettet, hat gegen kein Gesetz verstoßen“: Donald Trump zitiert Napoleons vermeintliche Maxime. Patrick Bahners über die wahre Quelle des Zitats „Dennoch sprechen wir miteinander“: Melanie Mühl rezensiert Stephan Lambys Buch zur Anziehungskraft demagogischer Politik. *** Stefan Schneckenburger empfiehlt, Shakespeare zu lesen: „Natürlich ‚Julius Caesar‘ mit Brutus und seinen Skrupeln und dem ganzen Demagogengesumse; den Populisten Cade im zweiten Teil von ‚Heinrich VI.‘, der Menschen einfach deshalb liquidieren lässt, weil sie gebildet sind, lesen und schreiben können, und England great again machen möchte; den dritten ‚Richard‘, der sein ganzes Publikum bei seinen Mordtaten zum Komplizen macht und Pläne vorstellt, deren Realisierung man für so unglaublich unmenschlich hält, dass man das mit ‚unmöglich‘ gleichsetzt; natürlich den ‚Macbeth‘ und seine Taten; den unverantwortlichen ‚Lear‘, Goneril und Regan samt Anhang; und vielleicht noch den ‚Coriolanus‘ mit seinen beiden etwas schmierigen, aber letztlich doch erfolgreichen Widersachern Sicinius und Brutus.“ Auch Wolfgang Perlák denkt an zwei Dramatiker – aus dem alten Griechenland. Sophokles' „Antigone“ und die „Orestie“ von Aischylos zählt der Leser aus Berlin zur „Pflichtlektüre für Demokraten“. „Warum? Zur Demokratie gehört für mich Rechtsstaatlichkeit, sonst endet die beste Demokratie doch schnell in einer ‚Tyrannei der Mehrheit‘. In der Antigone geht es um die Frage, ob das gesetzte ‚positive‘ Recht letztendlich ist oder ob es ein ‚höheres‘ Recht gibt.“ Den Schlusschor mit dem kurzen Loblied auf die ‚Besonnenheit‘ möchte er gerne jedem zukünftigen Bundeskanzler ins Stammbuch schreiben. Aischylos hingegen durchbreche im dritten Teil seiner „Orestie“ endlich das „unbarmherzige Gesetz der Blutrache – ohne diesen zivilisatorischen Schritt wäre eine Demokratie, wie wir sie kennen, auch nicht möglich.“ Den Wunsch unseres Lesers, einer der „großen Theaterkritiker“ der F.A.Z. möge sich dieser beiden Werke annehmen, können wir leider nicht erfüllen. Gerhard Stadelmaier hat in unserer Reihe gerade erst über Arthur Schnitzlers Komödie „Fink und Fliederbusch“ geschrieben, Simon Strauß bereits im Dezember im zweiten Beitrag überhaupt über Giuseppe Tomasi di Lampedusas Roman „Der Leopard“. Aber verstehen können wir diesen Wunsch. Und weitergeben auch. Zum Demokraten werde man nicht durch Pflichtlektüre, stellt unser Leser Andreas Kohlhage aus Gevelsberg fest, umgekehrt sei das Lesen an sich Pflicht für alle Demokraten: „Wer nicht bereit oder fähig ist zu lesen, ist nur sehr schwer zu einem eigenverantwortlichen demokratischen Verhalten in der Lage.“ Kohlhage ist überzeugt, dass ihn dabei von seiner Kinderbuchlektüre und den Abenteuerbüchern und Krimis seiner Jugend bis zu Proust, Beckett, Arno Schmidt und Thomas Hettche „alle belletristische Lektüre begleiten“ musste. „Wer sich ernsthaft (und mit Vergnügen) in den ‚Zauberberg‘ hineinarbeitet, der wird auch befähigt, den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Diskurs der Zivilgesellschaft kompetent begleiten zu können und eine verantwortungsvolle Position innerhalb des demokratischen Spektrums beziehen zu können. Ob er sich dabei statt des ‚Zauberbergs‘ lieber mit Stephen Spenders ‚Deutschland in Ruinen‘, mit Hettches ‚Nox‘ oder Thomas Pynchons ‚Enden der Parabel‘ vergnügt, halte ich dann für absolut sekundär – und wie viel mich Georges Simenon gelehrt hat, kann ich gar nicht mehr abschätzen.“ Der aktuelle Diskurs der Leseförderung und Leseforschung – vom gestern verschickten Aufruf zum Vorlesewettbewerb 2025, in dem der Börsenverein des Deutschen Buchhandels „Lesekompetenz als Grundpfeiler für politische Teilhabe“ unterstreicht, bis zum vor bald anderthalb Jahren veröffentlichten „Lubljana Manifest“ – bestätigt diese Haltung. Ohne in gleicher Entschiedenheit wie Andreas Kohlhage das Vergnügen zu betonen, das intensives Lesen uns bereiten kann. Dabei ist es ja wirklich so. Wir wünschen also viel Vergnügen beim Lesen und grüßen freundlich! Ihr Fridtjof Küchemann . P.S.: Neben Komplimenten für die neue Anmutung von Jürgen Kaubes monatlichem Literaturrätsel erreichte uns auch die Frage, wie denn neuerdings nach Einsendeschluss die Lösungen der verschiedenen Rätselteile zu erfahren wären. Pardon, das hätten wir gleich erwähnen sollen! Wenn Sie eines der Literaturrätsel in neuer Darstellungsform nach Ablauf der Teilnahmefrist öffnen, wird Ihnen neuerdings zu jeder Frage (einen Klick entfernt) die richtige Antwort gezeigt.
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