| Liebe Leserin, lieber Leser, |
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seit Gutenberg die Druckerpresse erfunden hat, träumen Verleger von dem einen Buch: dem sagenumwobenen Bestseller, der sich wie geschnitten Brot verkauft, die Kritiker des Feuilletons entzückt und den Verlag finanziell auf Jahre hinweg über Wasser hält. Doch was wie eine Verheißung klingt, erweist sich in der Praxis als Schatzsuche mit Augenbinde. Wie oft sind im Lektorat schon vielversprechende Manuskripte entdeckt worden, denen die Controlling-Abteilung beschied: „Das verkauft sich nie!“ | Sandra Kegel | Verantwortliche Redakteurin für das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. | |
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| All die Bestseller, die nach dem ursprünglichen Fachurteil eines Experten nie hätten erscheinen dürfen, füllen heute vermutlich ganze Bibliotheken. JK Rowling schickte ihr Manuskript zu „Harry Potter“ bekanntlich an zwölf Verlage und verschleierte mit den Initialen auch noch ihre Identität als Frau. Doch alle winkten ab. Magier? In Internaten? In England? Viel zu lang, ließ man sie wissen, und überhaupt: Warum heiße die Schule nicht einfach „Oxford für Zauberer“. Erst der kleine Bloomsbury-Verlag sagte zu, jedoch nicht aufgrund einer Marktanalyse, sondern weil der achtjährige Sohn des Verlegers so begeistert war. Umgekehrt wurde Herman Melvilles Jahrhundertroman „Moby-Dick“ bei seinem Erscheinen 1851 zum Flop. Leser und Rezensenten hatten zunächst offensichtlich kein Interesse an langen Ausführungen zum Walfang. So starb Melville in relativer Bedeutungslosigkeit und erfuhr nicht, dass sein Roman Jahrzehnte später zum Klassiker avancierte. Dass der amerikanische Verlag Little, Brown and Company im Jahr 1951 auf das Debüt eines unbekannten Autors namens J.D. Salinger setzte, ist ein schönes Beispiel für verlegerischen Wagemut. Dass „Der Fänger im Roggen“ augenblicklich ein Erfolg wurde, lag jedoch zunächst vor allem daran, dass der Roman in zahlreichen Schulen und Bibliotheken verboten wurde, was bekanntlich immer noch einer der sichersten Wege ist, um Aufmerksamkeit zu erlangen. *** Unsere Empfehlungen der Woche: Die Talfahrt der Berge: Jan Wiele aus Como über den Roman „Erdrutsch“ von Burkhard Spinnen und Charles Wolkenstein Eine Stadt tut sich schwer mit ihrem größten Sohn: Hubert Spiegel über den 50. Todestag Rolf Dieter Brinkmanns in Vechta. Ein Porträt der philippinischen Gegenwart: Andreas Platthaus über den Comic „Die Straßenkatzen von Manila“ des Street-Art-Künstlers Archie Oclos *** Wie die Anekdoten zeigen, sind Buchverlage seit jeher auf der Jagd: nicht wie Ahab nach dem Weißen Wal, sondern nach dem nächsten großen Ding. Dafür durchforsten übernächtigte Lektoren ein Manuskript nach dem anderen auf der Suche nach dem Funken, dem gewissen Etwas, dem „Je ne sais quoi", wie die Franzosen so treffend sagen. Doch wie entdeckt man etwas, von dem man nicht weiß, was es ist? Wer geradewegs auf Bestseller schielt, so viel ist sicher, wird nicht ans Ziel kommen, sondern dem Zeitgeist hinterherrennen. Denn was begeistert, ist nicht immer das, was erwartet wird – und was erwartet wird, verkauft sich nicht unbedingt. In dieser Gemengelage aus Bauchgefühl, Irrtum und seltenem Finderglück betritt nun ein neuer Mitspieler die Bühne: DemandSends – eine Künstliche Intelligenz, die Verlagen verspricht, Bestseller zu finden, bevor sie geschrieben sind. Mithilfe von Algorithmen analysiert die KI die Vorlieben der Leser, untersucht emotionale Tonalitäten und arbeitet die syntaktischen Muster erfolgreicher Bücher heraus. So behauptet DemandSends, den nächsten Literaturhit vorhersagen zu können. Das macht Verlage derzeit ganz kirre, als hätten sie den Heiligen Gral auf Speed entdeckt. Denn löste die KI ihr Versprechen ein, gäbe es bald keine nächtelangen Lesedurchgänge, kein Zittern vor der nächsten Vertreterkonferenz und keine finanzielle Not mehr. Schon träumen Verleger von einer Zukunft, in der sie Manuskripte in die KI reinschütten wie Karotten in den Entsafter – und am Ende sprudelt ein Bestseller heraus. Doch wenn Bestseller nur eine Formel wären – warum verkauft sich dann millionenfach ein Werk wie „Fifty Shades of Grey“, das stilistisch einer Bauanleitung von Ikea gleicht, während literarische Trouvaillen unter dem Radar verschwinden? DemandSends versteht nicht, dass Bestseller paradoxe Biester sind. Sie müssen vertraut wirken und doch überraschen. Sie müssen massentauglich sein und doch individuell. Das Timing ist entscheidend. Und Glück braucht man auch, worunter die KI sich gar nichts vorstellen kann. So werden Verlage wohl vorerst Suchende bleiben und sich weiterhin mit Manuskriptstapeln, Kaffeesatzleserei und neuronalen Netzen herumschlagen müssen. Die Geschichte zeigt, dass sich Bestseller nicht planen lassen. In seltenen Fällen können sie mit viel Gefühl, Mut und einem Hauch Wahnsinn erahnt werden. Zumeist aber sind sie auch für die Verlage eine Überraschung, weil die Leser in ihrer Buchauswahl oftmals unergründliche Wege gehen. Der Misserfolg der Bestseller-Berechnung wird aber vor allem dann eintreten, wenn sie Erfolg hat. Denn sollten sich alle Verlage den Algorithmus besorgen, werden sie alle mit ganz ähnlichen Antworten abgespeist und sich folglich auf ganz ähnliche Projekte stürzen. Dass es mehrere Bestseller zum selben Thema in derselben Machart gibt, das ist auch nach bestem KI-Wissen praktisch ausgeschlossen. Beste Wünsche und gute Lektüren Ihre Sandra Kegel
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Vor fünfzig Jahren kam Rolf Dieter Brinkmann, der romantische Rebell, in London ums Leben. Seine Heimatstadt Vechta tut sich noch heute schwer mit ihrem größten Sohn – hat ihm aber eine besondere Ausstellung ausgerichtet. |
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Zum dritten Mal beauftragt Jean-Claude Mourlevat den Igel Jefferson mit Ermittlungen in einem Kriminalfall. Die Geschichte besticht durch feinen Humor – und leise Lehren über die gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit. |
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