| Liebe Leserin, lieber Leser, |
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es gibt Bitten, die sind eine Einladung. Man folgt ihnen gern und ein bisschen geschmeichelt. So jedenfalls geht es mir, seit eine Kollegin aus dem Verlag von ihrer Idee erzählt hat, einem lesebegeisterten jungen Mann zum Geburtstag im Dezember ein Paket mit zehn Büchern zu schenken, die man gelesen haben sollte, wenn man 30 ist. Was ich denn empfehlen würde? | Fridtjof Küchemann | Redakteur im Feuilleton. | |
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| Wie seltsam, dass man an Ingeborg Bachmanns Erzählung „Das dreißigste Jahr“ immer erst denkt, wenn mit einem 30. Geburtstag der Wechsel ins einunddreißigste Lebensjahr ansteht! Aber zu spät ist es dann natürlich nicht für die Lektüre, zu spät ist es ja nie. Doch gibt es vielleicht umgekehrt Bücher, für die man mit dreißig noch zu jung sein könnte? Es gibt einige, die man mit vierzig, fünfzig anders liest, mit anderem Blick und anderen Fragen, aber das heißt ja nicht, zuvor wäre zu früh. Wir haben Sie, liebe Leserinnen und Leser, vor einer Woche um Ihre Vorschläge gebeten. David Ruggirello aus Aarau in der Schweiz kommt – vielleicht mit ganz ähnlichen Überlegungen wie diesen – auf „Der menschliche Makel“ von Philip Roth: „Einem 30-Jährigen würde ich deshalb diese Lektüre ans Herz legen, weil uns – allen Lebensplänen zum Trotz – aus dem Nichts ein völlig anderer Weg beschieden sein kann und alles, was einst so klar schien, nur noch als blasse und weit entfernte Idee in den Hintergrund rückt.“ Andrea Weinberger empfiehlt Albert Camus’ „Die Pest“ als „Parabel über Machtmissbrauch, Empathielosigkeit, Gier und Egoismus, das Aussetzen jedweder Regeln und des menschlichen Verhaltenskodex“, Lop v. Strasoldo aus Wien bietet gleich eine ganze Liste an, ohne weitere Erläuterung: „Der Meister und Margarita“ von Michail Bulgakow findet sich hier neben Irmgard Keuns „Nach Mitternacht“, der „Atemschaukel“ von Herta Müller, Giuseppe Tomasi di Lampedusas „Leopard“ und Sándor Márais „Glut“, Erich Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“ neben „Nachtgewächs“ von Djuna Barnes, Louis-Ferdinand Célines „Reise ans Ende der Nacht“ und „Bonjour Tristesse“ von Françoise Sagan und Christa Wolfs „Voraussetzungen einer Erzählung: Kassandra“. *** Unsere Leseempfehlungen der Woche: Komödie der metaphysischen Patienten: Jürgen Kaube zur Veröffentlichung des „Zauberbergs“ vor hundert Jahren Wir hören das Schweigen der Eltern ein Leben lang: Sandra Kegel spricht mit Caroline Peters über deren Debütroman „Ein anderes Leben“ Caroline Peters antwortet auf die Fragen, was sie gerade liest und welches Buch aus ihrem Bücherschrank sie nicht lesen wird Vielleicht werde ich Dorfnarr: Tilman Spreckelsen über Kafkas Reise ins nordböhmische Zürau *** Mir selbst ist „Der lange Traum“ von Margaret Atwood eingefallen, ein Roman aus dem Jahr 1972, von dem eine der wichtigsten Leserinnen in meinem Leben einmal gesagt hat, hier werde endlich mal eine Frauenfigur in einer Tiefe dargestellt, der sie glauben könne. Wassili Grossmans „Stalingrad“ , das mit dem Atem des großen Gesellschaftsromans des 19. Jahrhunderts aus dem Jahr 1942 in der Sowjetunion erzählt, aus dem Zweiten Weltkrieg also, aus einer Perspektive, die vielen hierzulande immer noch unvertraut ist. Und, wo wir gerade beim Perspektivwechsel sind: Peter Frankopans Weltgeschichtserzählung „Licht aus dem Osten“ , die den Westen von außen in den Blick zu nehmen versucht. Und weiter? „Der Proceß“ von Franz Kafka. „Landgericht“ von Ursula Krechel. „Betrug“ von Zadie Smith. Ines Geipels „Umkämpfte Zone. Mein Bruder, der Osten und der Hass“. „Rayuela“ von Julio Cortázar oder „Das Leben. Gebrauchsanweisung“ von Georges Perec (in der Ausgabe mit beigefügtem Puzzle, wenn es geht), um auch etwas formal Verspieltes in der Auswahl dabeizuhaben. Wenn schon nicht gleich den „Zauberberg“ von Thomas Mann, so doch vielleicht seine „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“? Ach, und warum eigentlich nicht die Erzählungen der Bachmann? Jedes dieser Bücher ist der Einstieg in ein ganzes Werk. In welcher Gesellschaft sie sich später im Bücherschrank wiederfinden werden? Wo stehen sie eigentlich noch gleich bei mir? Und wie wäre es, sie wieder zur Hand zu nehmen, sie aufzuschlagen, in ihnen zu blättern? Sie müssen mich entschuldigen: Ich habe zu lesen. Wünsche Gleiches und grüße herzlich! Ihr Fridtjof Küchemann
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