Heribert Prantl beleuchtet ein Thema, das Politik und Gesellschaft (nicht nur) in dieser Woche beschäftigt.
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1. Oktober 2023
Prantls Blick
Die politische Wochenschau
Prof. Dr. Heribert Prantl
Kolumnist und Autor
SZ Mail
Guten Tag,
seit ich erlebt habe, wie vor ein paar Jahrzehnten in meiner Heimat die atomare Wiederaufbereitungsanlage, die WAA in Wackersdorf, durch den massiven Widerstand der Bevölkerung verhindert worden ist, halte ich Bayern für ein wackeres und aufgeklärtes Land. Ich bin seitdem der Meinung, dass die Menschen sich emanzipiert haben von einer Politik, die der Gesellschaft nicht gut tut. Habe ich mich geirrt? Ich frage mich das, weil ich den Zuspruch und den Zulauf sehe, den im Jahr 2023 eine Politik hat, die ganz weit rechts positioniert ist. Die Umfragewerte für diese Politik, die heute in der AfD (aber nicht nur dort) gemacht wird, deuten auf eine erschreckend hohe Zustimmung hin. „Zammreißen“ heißt daher das Motto einer Demonstration, die am kommenden Mittwoch, dem 4. Oktober, auf dem Münchner Odeonsplatz stattfindet. 

Bei dieser Demo würde, wenn er noch lebte, der Schriftsteller Lion Feuchtwanger dabei sein. Er würde auf die Bühne gehen und vorlesen aus seinem Buch „Erfolg. Drei Jahre Geschichte einer Provinz“. Er würde erzählen von der Hauptfigur des Buches, die er Rupert Kutzner genannt hat, und von deren Partei, den „wahrhaft Deutschen“. Es geht dort, in diesem Buch aus dem Jahr 1930, um den Aufstieg einer rechtsextremen Partei, den die Bayern billigend in Kauf nehmen, weil sie zwar „stark sind im Schaun“, aber „schwach im Urteil, das Gestern lieben, das Morgen hassen und im übrigen bloß in Ruhe gelassen werden wollen.“ 

Das Buch ist ein Zeitmosaik, zusammengesetzt aus vielen Steinchen und Splittern. Zu den Steinchen und Splittern würden heute auch die bitteren Grotesken um Hubert Aiwanger gehören, seine gewundenen und gedächtnisschwachen Erklärungen um ein altes, bösartiges rechtsextremistisches Flugblatt, das er einst in seiner niederbayerischen Gymnasialzeit in seiner Schultasche hatte. Das Buch Feuchtwangers, von dem ich rede, ist noch viel älter als das Flugblatt. Feuchtwangers Buch kündigt die furchtbaren Grausamkeiten an, über die sich das Aiwanger-Flugblatt dann höhnisch lustig macht. Aiwangers Umfragewerte sind kolossal gestiegen. 

Leben wie bisher, breit und laut

Die Provinz, aus der Feuchtwangers Buch berichtet, ist Bayern; Held des Romans ist die Hauptstadt München, von der der Autor sagt, sie habe den Wahlspruch: „Bauen, brauen, sauen“. Der Bayerische Staatsanzeiger kritisierte das Buch beim Erscheinen als „perfide Verleumdung des Landes, des Volkes und führender Persönlichkeiten Bayerns“. Und so sah diese angeblich „perfide Verleumdung“ aus: „Die Bayern knurrten, sie wollten leben wie bisher, breit, laut, in ihrem schönen Land, mit ein bißchen Kultur, einem bißchen Musik, mit Fleisch und Bier und Weibern und oft ein Fest und am Sonntag Rauferei. Sie waren zufrieden, wie es war. Die Zugereisten sollten sie in Ruhe lassen, die Schlawiner, die Saupreußen, die Affen, die geselchten.“ 

In meinem heutigen SZ-Plus-Text frage ich mich, was von dieser Diagnose Lion Feuchtwangers heute noch gilt. Der Text hat den Titel „Die wahrhaft Deutschen und die geselchten Affen“. Es geht darum, warum heute wieder so viele Menschen rechts und rechtsaußen wählen.
SZPlus Prantls Blick 
Die wahrhaft Deutschen und die geselchten Affen
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Ich wünsche uns einen guten Einheitstag am kommenden Dienstag, ich wünsche uns, dass die Farben Schwarz-Rot-Gold die Farben einer starken Demokratie bleiben.
Heribert Prantl
Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung
SZ Mail
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Prantls Leseempfehlungen
Die Friedensschreiber
Hugo Grotius, der Vater des Völkerrechts, hat vor bald vierhundert Jahren die berühmten drei Bücher vom Krieg und vom Frieden geschrieben: "De Jure Belli Ac Pacis Libri Tres". Sie haben den Westfälischen Frieden vorbereitet. Kann Literatur Frieden stiften? Diese Frage stellten sich soeben die „Westfälischen Friedensgespräche“ in Münster. Münster ist ein guter Ort für diese Frage: Der Friede von Münster und Osnabrück beendete vor 375 Jahren den Dreißigjährigen Krieg. Der Friedensschluss war unter anderem dem Geschick des venezianischen Diplomaten Alvise Contarini zu verdanken, der in seinem Wappen die bezeichnende Devise trug: "Non ad perniciem – nicht bis zum Untergang“. Man hält inne bei diesem Wort – und denkt an den Krieg in der Ukraine.

Der irakische Schriftsteller Najem Wali, der in Berlin im Exil lebt, hat die „Westfälischen Friedensgespräche“ initiiert, die soeben mit dem Dialog zweier spanischer Dichter begonnen haben: José Ovejero und Jordi Puntí; der eine lehnt jede Form von Nationalismus ab, der andere streitet für die Unabhängigkeit Kataloniens. Die beiden haben sich über Monate in einem Briefwechsel voller literarischer Kraft, sprachlicher Schönheit und beeindruckender Aufrichtigkeit mit dem Jahrhundertkonflikt zwischen Katalonien und Spanien auseinandergesetzt. Warum ausgerechnet Literaten Impulse geben können für die Entwicklung des Friedens? Ihre Antwort: Weil es, um einen Roman zu schreiben, zweier Fähigkeiten bedarf: Vorstellungskraft und Fantasie für das Undenkbare sowie ein Weltverständnis, das die Komplexität und Widersprüchlichkeit der Wirklichkeit durchdringt. Man kann nur hoffen, dass sich ein Verlag findet, der Ovejeros und Puntís Texte für die deutsche Leserschaft veröffentlicht – Grund zur Zuversicht, dass es klappt, gibt es.

Vorbild für Najem Walis Idee ist ein Briefwechsel, den ich Ihnen heute zum Lesen empfehlen will: Es ist der Briefwechsel zwischen dem französischen Pazifisten und Literaturnobelpreisträger Romain Rolland (1866-1944) und dem österreichischen Schriftsteller Stefan Zweig (1881-1942). Die beiden haben sich in feindseligen Zeiten getroffen, haben sich – verleumdet von ihren jeweiligen Landsleuten – geachtet und geschätzt. Wie viele Künstler und Intellektuelle war Zweig bei Kriegsbeginn 1914 erst einmal von nationalistischer Verirrung befallen. Der Briefwechsel mit Romain Rolland zeigt, wie Zweig sich aus dieser Verirrung herausfühlt und herausschreibt, wie er sich zum Pazifisten wandelt. Der Briefwechsel zeigt das Ringen zweier Europäer um den Frieden in einer Zeit des Hassens und kriegerischen Mordens. 

Romain Rolland, Stefan Zweig: Von Welt zu Welt. Briefe einer Freundschaft 1914-1918. Das Buch ist im Jahr 2014 im Aufbau-Verlag erschienen, es hat 480 Seiten und kostet 24,95 Euro.
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Die  Apfelpflücker
Meinen Großvater väterlicherseits habe ich nicht mehr erlebt. Er wurde zur Sagengestalt meiner Kindheit: Landwirt, Vater von 20 Kindern aus zwei Ehen und – Straßenoberaufseher; er hat in dieser Funktion, so erzählte man es sich auf Familienfesten, Obstbäume an der Straße von Nittenau, meinem Heimatort, nach Regensburg gepflanzt. An diese Großtat habe ich mich erinnert beim Lesen der Seite über Obstbäume im öffentlichen Raum, die in der SZ-Wochenendbeilage erschienen ist. „Wilde Ernte“ ist sie überschrieben und sie handelt von Früchten, die ein Jeder abernten darf. Ich habe dort gelernt, dass es eine Internet-Plattform gibt, die mundraub.org heißt und auf der man erfährt, wo man Früchte und Kräuter kostenlos und legal ernten kann. Zu Großvaters Zeiten brauchte man dafür noch keine App.
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