Liebe/r Leser/in, ich weiß, es ist nicht fair. Weil es im Grunde keine passenden Worte gegeben hätte. Und weil der Kanzler nun mal nicht schweigen durfte – nach Solingen. Also ließ er uns wissen, dass der Täter „rasch gefasst und mit der vollen Härte des Gesetzes bestraft werden müsste.“ Auch wenn es nicht fair ist – so muss ich doch bekennen, dass mich die Phrasenhaftigkeit, die Hohlheit, die Belanglosigkeit dieser Stellungnahme überrascht und erschüttert. Der Täter möge gefasst und hart bestraft werden – dies also ist (immerhin zwölf Stunden nach dem Anschlag) die Botschaft, die der wichtigste Mann im Staat den Deutschen mitzuteilen hat. Möge niemand glauben, den Beratern, Sprechern, Schreibern und Denkern im Kanzleramt sei eben in der Eile nichts anderes eingefallen. Nein, die Worte des Kanzlers sind deshalb so glatt und nichtig, weil man hofft, sie seien auf diese Weise leichter aufzunehmen. Weil man hofft, dass sich alle sofort darauf einigen können. Ohne nachdenken zu müssen. Und weil auf diese Weise eine weitere, beruhigende Botschaft die Menschen erreichen soll. Wenn der Täter erst einmal gefasst und ‚hart bestraft‘ worden sei, so die unausgesprochene Kunde, dann sei die Ordnung wiederhergestellt. Die Ordnung aber lässt sich nicht wiederherstellen. Weil sie für jene nicht gilt, die sich berechtigt sehen, Massaker zu begehen um des Massakers willen. Die ein Blutbad als Dienst an ihrem Gott betrachten. Ob sie nach ihrer Tat „gefasst und mit der vollen Härte des Gesetzes bestraft werden,“ kümmert sie nicht. Es schreckt sie nicht ab. Und es schreckt jene nicht ab, die ihnen nacheifern und das nächste Blutbad bereits vorbereiten. Der islamistische Terror, so hat es nach dem 11. September der amerikanische Publizist Paul Berman auf den Punkt gebracht, verfolge eine „Politik des Gemetzels“. Diese Strategie gilt noch immer. Egal, ob die Täter Flugzeuge, Bomben, Gewehre, Lastwagen oder Messer benutzen, um diese Gemetzel anzurichten. Es wäre an der Zeit, sich dieser Tatsache zu stellen. Es wäre an der Zeit, sich die Frage zu stellen, ob wir wirklich alles tun, um uns gegen derartige Täter, die sich als Soldaten in einem Krieg wähnen, zu schützen. Haben wir jene wirklich im Blick, von denen wir wissen, dass sie zu solchen Anschlägen fähig sind? Haben wir genug Fahnder? Geben wir ihnen genug finanzielle, technische und juristische Mittel? Die Forderung des Kanzlers nach der ‚vollen Härte‘ des Gesetzes weicht diesen Fragen aus. Sie ist eine Unverschämtheit und eine Binse. Eine Unverschämtheit gegenüber den Richtern, die bei Scholz offenbar unter Verdacht stehen, bislang nicht hart genug bestraft zu haben. Eine Binse ist das Kanzlerwort, weil der Rechtsstaat sich nun mal darüber definiert, dass er Verbrecher bestraft. Mit dieser Binse immer wieder aufs Neue zu wedeln, taugt allenfalls als Abwehrzauber. Der uns nicht helfen wird.
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