Liebe Frau Do, einvernehmlich hatten Bund und Länder in der vergangenen Woche vereinbart, die Bewegungsfreiheit dort einzuschränken, wo mehr als 200 Corona-Infektionen pro 100.000 Menschen binnen sieben Tagen gezählt werden. Die Regelung, dass man sich nur in einem Radius von 15 Kilometern um seinen Heimatort bewegen darf, erhielt den Spitznamen „Corona-Leine“. Mag sein, dass sie mäßig praktikabel ist, aber beschlossen war sie, mitgetragen von Ministerpräsident Armin Laschet. Umso überraschender, dass NRW darauf verzichtete, sie in die neue Corona-Schutzverordnung aufzunehmen. Stattdessen sollten die betroffenen Städte und Kreise das in ihre Hände nehmen. Nun kommt eine Rolle rückwärts, das Land verordnet die 15-Kilometer-Regel doch noch und zwar für den Oberbergischen Kreis, die Kreise Recklinghausen, Höxter und Minden-Lübbecke, weil dort aktuell der Inzidenzwert über 200 liegt. Was dahinter steckt, haben Claudia Hauser, Viktor Marinov, Maximilian Plück und Christian Schwerdtfeger recherchiert. Was davon zu halten ist, schreibt Martin Kessler in einem Leitartikel. Das ärgerliche Hü und Hott ist das eine. Aber durch einen Verordnungstext allein lassen sich Hotspots ja noch nicht in den Griff kriegen. Die Arbeit fängt erst an. Wenn das Land die Lokalpolitiker allein lässt, etwa bei Durchsetzung und Kontrolle der 15-Kilometer-Regel, droht eine Blamage auf ganzer Linie. Viele Eltern sehen auch die Schulpolitik des Landes seit dem Start der Pandemie als eine Blamage. Kirsten Bialdiga und Sabine Dwertmann berichten über den ersten Schultag nach den Weihnachtsferien: Der Distanzunterricht war von technischen Problemen begleitet, der Start verlief vielerorts holprig. „Es gibt Schulen, da hat der digitale Unterricht von der ersten Minute an reibungslos geklappt“, schreibt Kirsten Bialdiga in ihrem Leitartikel aber auch. Das Land hat dennoch viele Hausaufgaben vor sich. Vielleicht gehört zur Wahrheit aber auch, dass es eine vollständige Zufriedenheit nicht geben kann. Das gilt vermutlich auch für die Corona-Warn-App. Eine Rückverfolgung der Infektionsketten ermöglicht sie den Gesundheitsämtern jedenfalls nicht, weswegen nun diskutiert wird, ob sie sich erweitern ließe. „Datenschutz ist nicht wichtiger als Gesundheitsschutz“, sagte Armin Laschet dazu gerade erst im letzten Schlagabtausch mit Friedrich Merz und Norbert Röttgen vor dem CDU-Parteitag an diesem Samstag, der einen neuen Bundesvorsitzenden wählen soll. Datenschutz gegen Gesundheitsschutz? Jana Wolf beschreibt die Frontlinien in diesem Streit. Der Chaos Computer Club erkennt übrigens „nachweislich falsche Tatsachenbehauptungen“ bei denen, die den Datenschutz als zu stark kritisieren. Wenn es nach den Corona-Leugnern ginge, wären weder die 15-Kilometer-Regel, Distanzunterricht oder Warn-App nötig. Einer von ihnen ist Thomas Seitz, Bundestagsabgeordneter aus Baden-Württemberg. Ich würde Sie nicht mit dem früheren Staatsanwalt behelligen, wenn er nicht die Pandemie bestreiten würde, obwohl er selbst fast an Covid-19 gestorben wäre. Gregor Mayntz schildert den Fall in seiner Analyse und zitiert dabei auch den Psychologie-Professor Borwin Bandelow, der darin ein weiter verbreitetes Phänomen erkennt: „Diejenigen, die im Grunde sehr viel Angst haben, erklären dann sämtliche Fakten für Fake News und nehmen nur noch auf, was in den eigenen Kram passt“, stellt der renommierte Experte für Angststörungen fest. Eine spannende Deutung, die nahtlos zu Donald Trump führt. Während die Demokraten eine Amtsenthebung von Präsident Donald Trump vorantreiben, demonstriert dessen Vize Mike Pence nun doch wieder seine Nähe zum Präsidenten. Pence traf am Montagabend erstmals seit dem Sturm auf das Kapitol wieder mit Trump zusammen. Die US-Republikaner blockierten indessen vorerst eine Resolution der Demokraten, in der eine schnelle Absetzung von Trump gefordert wird. Es sind jetzt nur noch acht Tage, bis der neue US-Präsident Joe Biden vereidigt wird. Nach dem Sturm aufs Kapitol sollen die Sicherheitsvorkehrungen drastisch verschärft werden. Der 20. Januar stand in Washington alle vier Jahre für ein öffentliches Fest der Demokratie; Corona und Trumps Hasspropaganda lassen das diesmal nicht zu. Wie der Schriftsteller T. C. Boyle über die wüsten Szenen im Kongressgebäude denkt und was für ihn daraus folgt, lesen Sie in einem exklusiven Gastbeitrag. Schön an dem Text finde ich auch, dass er mit einem Bekenntnis zur Hoffnung schließt. Hoffnungsvoll sollte auch jeder neue Tag beginnen – ich wünsche Ihnen einen wunderbaren Morgen. Herzlich Ihr Moritz Döbler Mail an die Chefredaktion senden P.S.: Wenn Ihnen dieser Newsletter gefällt, empfehlen Sie die "Stimme des Westens" weiter! |